Die WHO gibt die „International Classification of Functioning, Disability and Health“ (ICF) heraus, das DIMDI die deutsche Ausgabe, die „Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit“.
Inhaltsübersicht |
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Ziel der ICF » |
Aufbau der ICF » |
ICF im Risikomanagement » |
ICF und IEC 62304 » |
Diese Taxonomie ist nicht nur im Rahmen der Pflegedokumentation hilfreich, sondern für das Risikomanagement von Medizinprodukten. Gerade im Kontext der 2. Ausgabe der IEC 62304 kann die ICF ein wichtiges Instrument für Sie werden.
Was ist die ICF? Was ist deren Ziel?
Abgrenzung ICD und ICF
Die „Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit“, kurz ICF, ist ein Ordnungssystem, mit dem der Gesundheitszustand von Menschen beschrieben werden kann. Dabei geht es der ICF im Gegensatz zur ICD nicht darum, Krankheiten und Verletzungen zu kodieren, sondern darum, deren Auswirkungen auf das Alltagsleben der Patienten systematisch erfassen zu können.
Mit dem ICD-Katalog könnten Sie beispielsweise ausdrücken, dass ein Patient an einer Demenz leidet. Ob diese Person aber noch alleine auf die Toilette gehen kann, ließe sich mit der ICF kodieren.
Anwendungsbereiche der ICF
Die ICF findet beispielsweise Anwendung
- in der Pflegedokumentation,
- als Instrument für die Forschung, Statistik und Gesundheitssteuerung sowie
- als Interoperabilitätsstandard.
Der §92 SGB V fordert: „Er [GBA] soll insbesondere Richtlinien beschließen über […] die Verordnung von im Einzelfall gebotenen Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und die Beratung über Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und ergänzende Leistungen zur Rehabilitation“. Ohne eine Klassifikation wie den ICF wäre solch eine Steuerung kaum möglich.
Aber auch für Medizinproduktehersteller kann die „Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit“ nützlich sein. Dazu mehr weiter unten.
Aufbau der ICF
Modell
Der ICF beschreibt die Zusammenhänge von Krankheiten und deren Auswirkungen in folgendem Modell:
Ein Gesundheitsproblem kann dazu führen, dass die betroffene Person nicht mehr alle Aktivitäten in der gewohnten Weise durchführen kann. Beispielsweise nicht mehr Lesen oder Schreiben oder sich nicht mehr selbst versorgen zu können.
Auch die Partizipation, die Teilhabe, kann durch das Gesundheitsproblem beeinträchtigt sein. Die Person kann möglicherweise nicht mehr am Sozialleben teilnehmen, oder nicht mehr kommunizieren.
Mit dem Gesundheitsproblem können in Mitleidenschaft gezogene Körperstrukturen und Körperfunktionen einhergehen. Beispielsweise der Verlust, Nahrung aufzunehmen oder bei sich zu behalten.
Auch stehen die Körperfunktionen, die Aktivitäten und die Teilhabe miteinander in Beziehungen und Abhängigkeiten.
Es gibt weitere Faktoren, welche das Ausmaß der Einschränkungen verringern oder erhöhen. Zu den Umweltfaktoren zählen beispielsweise Technologien wie Rollstühle, welche sicher der Mobilität zuträglich sind. Umgekehrt wären bauliche Beschaffenheiten von Gebäuden wie ein nicht behindertengerechter Eingang der Mobilität abträglich. Auch dies lässt sich mit ICD kodieren. Hingegen kodiert der ICF die personenbezogenen Faktoren nicht. Hierzu zählen beispielsweise die eigene Einstellung und die genetische Veranlagung.
Umweltfaktoren und personenbezogene Faktoren bilden zusammen die Kontextfaktoren.
Taxonomie
Die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit, kurz ICF, ist ein hierarchisches Klassifikationssystem d.h. eine Taxonomie. Eine Übersicht verschafft das folgende Bild.
ICF für das Risikomanagement
Typische Herausforderungen bei der Definition der Schweregradachse
Medizinproduktehersteller nutzen zur Bewertung der Risikoakzeptanz eine Risikoakzeptanzmatrix. Auf deren Schweregradachse definieren die Hersteller verschiedene Klassen an Schweregraden, die beispielsweise davon abhängig sind, ob ein Schaden
- tödlich ist,
- lebensgefährlich ist,
- reversibel ist,
- usw.
Doch bei vielen Schäden genügt diese einfache Klassifizierung nicht. Sie eignet sich beispielsweise nur bedingt, um
- nicht-reversible Schäden weiter zu differenzieren (der Verlust eines kleinen Zehs ist sicher ein kleinerer Schaden wie der Verlust des Augenlichts),
- psychisches Leid auszudrücken,
- zu differenzieren, wie sich eine körperliche Schädigung wirklich auf das Leben eines Menschen auswirkt. Ein HIV-Kranker mag keine messbaren körperlichen Beeinträchtigungen haben, aber an der sozialen Stigmantisierung leiden.
Alle diese Beeinträchtigungen können Sie mit dem ICF präzise klassifizieren und dann für die Definition Ihrer Schweregradachsen nutzen.
ICF und IEC 62304
Vielleicht wundern Sie sich jetzt über dieses Kombination einer Klassifikation und einer Norm. In der Tat kann die ICF für die 2. Ausgabe der IEC 62304 ein noch höhere Bedeutung haben:
Ab der 2. Ausgabe der IEC 62304 sind auch Wellness-, Fitness- und sonstigen Gesundheitsanwendungen im „Scope“ der Norm. Gerade bei diesen häufig unkritischeren Software-Systemen sind der Nutzen und die möglichen Schäden nicht mehr im Bereich von Leben und Tod, sondern viel differenzierter. Schließlich geht es ja um die Fitness und Wellness.
Der ICF kann Ihnen nun ein hilfreiches Instrument sein, um diese subtileren Verbesserungen oder Verschlechterungen des Gesundheitszustands zu quantifizieren. Denn nur eine quantitative Beschreibung erlaubt Ihnen eine präzise Nutzen-Risiko-Abwägung.
Doch ziehen Sie die ICF nicht nur bei diesen Gesundheitsanwendungen in Betracht: Gerade auf der „linken Seite der Schweregradachse“ sind die Klassifizierungskriterien für die Schäden bei den meisten Herstellern sehr „fuzzy“. Was heist schon „unwesentlicher“, „leichter“ oder „vernachlässigbarer“ Schaden? Mit der ICF können Sie präzise definieren, was Sie damit meinen.
Ein Appell
Die Präzision, mit der Sie Ihre Risikoakzeptanzmatrix beschreiben, zeigt, wie wichtig Ihnen Ihre Patienten wirklich sind.
Wer hier schlampt, wer die tatsächlichen Schäden nicht systematisch analysiert, die durch das eigene Medizinprodukt entstehen können, wer glaubt, dass diese Schäden nur durch Tod-Nicht-Tod oder Reversibel-Nicht-Reversibel beschrieben werden könnten, kommt seiner ethischen und gesetzlichen Pflicht nicht nach.
Medizinprodukte zu entwickeln, heißt Verantwortung zu übernehmen und Folgen abzuschätzen und zu bewerten. Die „Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit“ ICF ist ein nützliches Werkzeug zumindest bei der Klassifizierung möglicher Schweregrade. Nutzen Sie sie!
Ein interessanter Artikel!
Im Satz „….wer glaubt, dass diese Schäden nur durch Tod-Nicht-Tod oder Reversibel-Nicht-Reversibel beschrieben werden könnten, kommt seiner ethischen und gesetzlichen Pflicht nach“ fehlt aber wohl das „NICHT“.
Oder wird jetzt alles doch viel einfacher? ;-]
Viele Grüsse aus der Schweiz
J. Kraft
Absolut, danke!! Ist korrigiert! Nochmals danke!