Was sind primäre Benutzer? Was sekundäre und gar tertiäre Benutzer? Welche spezifischen Anforderungen an diese Benutzertypen stellen die Regularien insbesondere die FDA und die IEC 62366? Sollte man eher von Benutzern, Bedienern oder Anwendern sprechen? Dieser Beitrag gibt Antworten.
Primäre Benutzer, sekundäre Benutzer und indirekte Benutzer
Primäre Benutzer
Primäre Benutzer sind die Benutzer eines Produkts, die es nutzen, um den medizinischen Zweck zu erreichen. Beispiele dafür sind Ärzte, Pflegekräfte, medizinische Assistentinnen und Assistenten.
Sekundäre Benutzer
Sekundäre Benutzer sind die Benutzer eines Produkts, die es für den sonstigen bestimmungsgemäßen Gebrauch nutzen. Dazu zählen z.B. Servicetechniker und Personen, die für die Installation, Aktualisierung und Konfiguration verantwortlich sind.
Indirekte oder tertiäre Benutzer
Indirekte oder tertiäre Benutzer sind die Personen, die die Arbeitsergebnisse insbesondere der primären Benutzer für ihre eigene Arbeit benötigen. Beispielsweise benötigt ein Medizincontroller für die Abrechnung eines Krankenhaus-Aufenthalts die Beatmungsstunden, die ein andere Benutzer (primäre Benutzer) im medizinischen Informationssystem erfasst hat.
Regulatorische Anforderungen
Charakterisierung der primären Benutzer und sekundären Benutzer
Weder die FDA noch die IEC 62366 differenzieren diese Benutzertypen. Beide stellen keine Anforderungen mit Bezug auf die tertiären Benutzer. Allerdings fordern sowohl die FDA als auch die IEC 62366, dass Sie alle Benutzer, primäre Benutzer und sekundäre Benutzer charakterisieren. Sie können Benutzer charakterisieren anhand von
- Ausbildung, Erfahrung im relevanten (medizinischen) Kontext
- Erfahrungen mit dem Produkt oder Produkten der gleichem Produktklasse
- Typische Aufgaben
- Demographische Eigenschaften wie Alter und Geschlecht
- Geistige und körperliche Fähigkeiten bzw. Einschränkungen
- Sozialer und kultureller Hintergrund.
Weitere Anforderungen
Die FDA fordert, dass sowohl primäre Benutzer als auch sekundäre Benutzer bei der Spezifikation der Benutzer-Produkt-Schnittstelle zu berücksichtigen sind.
Die IEC 62366 verlangt das auch und kennt die Hauptbedienfunktionen als die sicherheitskritischen und häufig benutzten Bedienfunktionen.
- Üblicherweise sind es die häufig benutzten Funktionen, die von den primären Benutzern genutzt werden.
- Sicherheitskritische Funktionen gibt es sowohl bei den primären Benutzern als auch bei sekundären Benutzern. Regelmäßig übersehen Medizinproduktehersteller, dass das Konfigurieren – also eine Aufgabe v.a. der sekundären Benutzer – zwar selten erfolgt, Fehler aber gravierende Schäden zur Folge haben können, also sicherheitskritisch sind.
Benutzer, Bediener oder Anwender
Sind Benutzer, Bediener und Anwender das gleiche? Welcher dieser Begriffe ist zu bevorzugen? Mein Usability-Guru Thomas Geis gibt eine eindeutige Antwort: Der Begriff Benutzer ist der, den Sie unbedingt nutzen sollten. Weshalb? Dafür gibt es mehrere Gründe:
- Die Normen nutzen diesen Begriff. Sie sprechen auch nicht nur von Benutzer, sondern auch beispielsweise von Benutzungsszenario, Benutzer-Produkt-Schnittstelle und Benutzer-Profil. Bediener-Produkt-Schnittstelle würde auch seltsam klingen.
- Der Begriff „Bediener“ impliziert, dass der Mensch bedient und sich die Maschine bedienen lässt. So weit sind wir hoffentlich noch nicht.
- Den Begriff „Anwender“ nutzt man bereits für die „anwendende Organisation“. z.B. ist die Lufthansa ein Anwender von SAP.
Aber Vorsicht: Es heißt nicht Benutzerfehler, sondern Benutzungsfehler. Nicht der Benutzer hat einen Fehler. Viel mehr trat bei der Benutzung ein Fehler auf.
Hallo,
in Bezug auf zu erstellende User-Profiles in der Use Specification: in einer Klinik gibt es typischerweise Ärzte und Fachassistenten (Radiologie-Assistenten, Optometristen etc.).
Wenn nun an einem Gerät Ärzte und Assistenten die gleichen Aufgaben erledigen (Use Scenarios), ist es dann Sinnvoll für dieses Gerät einfach nur ein Nutzerprofil zu erstellen (Charakterisierung: „Ausbildung: MTRA oder Arzt“) oder sollte man besser die Nutzerprofile trennen?
Danke!
Sehr geehrter Herr Heyne,
wenn sich die beiden Anwendergruppen aus Sicht der Aufgaben (auch am Produkt) und Sicht des Risikomanagements nicht unterscheiden, ist es eine gute Idee sie insbesondere für die summative Evaluation gemeinsam zu betrachten. Das halbiert die Kosten.
Beste Grüße, Christian Johner
Ist es eindeutig regulatorisch gefordert, Usability im gleichen Maße für Servicetechniker des Herstellers selbst und für Servicetechniker, die nicht beim Hersteller arbeiten umzusetzen und nachzuweisen?
Sinnvoll oder erstrebenswert ist es allemal, auch eigenen Mitarbeitenden das zu bieten. Auch vom Arbeitsschutz her macht es Sinn und muss zumindest in einer Form umgesetzt werden.
Aber für die Mitarbeitenden des Herstellers sehe ich keine ganz konkrete Anforderung, die Punkte z.B der 62366 nachzuweisen.
Ich beziehe mich vor allem auf ein Szenario, in welchem der Service ausschließlich durch den Hersteller erfolgt, der Service also nicht mal Teil des Bestimmungsgemäßen Gebrauchs ist.
Lieber Herr Mayfarth,
eine eindeutige regulatorische Anforderungen, dass Usability im gleichen Maße für Servicetechniker umzusetzen ist, die beim Hersteller arbeiten gibt es nicht. Die 62366-1 gilt ausschließlich für den bestimmungsgemäßen Gebrauch und wie Sie bereits richtig angemerkt haben fällt Service der ausschließlich durch den Hersteller erfolgt nicht in den bestimmungsgemäßen Gebrauch. Nichtsdestotrotz sollten Sie im Rahmen Ihres QM Systems natürlich dafür sorgen, dass Ihre Mitarbeiter ausreichend geschult sind und mit Hilfe von Wirksamkeitsprüfungen nachweisen können, dass die Schulungsmaßnahmen wirksam sind. Für Servicetechniker welche nicht beim Hersteller arbeiten, jedoch Serviceleistungen für die Kunden erbringen sollten Qualitätssicherungsvereinbarungen geschlossen werden, um so die Qualität der Dienstleitung im Rahmen des QM-Systems nachweisen zu können.
Darüber hinaus ist laut der Arbeitsstättenverodnung erforderlich, dass bspw. Bildschirmarbeitsplätze ergonomischen Richtlinien entsprechen:
https://www.ergo-online.de/arbeitsschutz/gesetze-und-regelwerke/arbeitsstaettenverordnung-uebersicht-ueber-geltungsbereiche-und-inhalte/
https://www.ergo-online.de/ergonomie-und-gesundheit/software/usability/softwareergonomie-und-die-verordnung-als-gesetzliche-grundlage/bildschirmarbeitsverordnung-bildscharbv-vs-arbeitsstaettenverordnung-arbstaettv/
sollte ein Servicetechniker bspw. einen Bildschirm anbringen, sollte dieser auch in den entsprechenden Richtlinien geschult sein.
Liebe Grüße
Philipp Schleer
Hallo Herr Schleer, vielen Dank für die Erläuterung und Bestätigung. Sie haben natürlich Recht. Vieles ist auch bei den Mitarbeitenden zu beachten – was man auch heute schon Usability nennen könnte.
Ich bin mir auch sicher, dass wir in den nächsten Jahren eine deutlichere Annäherung erfahren. Vielleicht sprechen wir dann sogar in beiden Bereichen von Usability.
Patient:in als primärer Nutzer.
bei Medizinprodukten, die von den Patienten selbst angewendet werden, jedoch von Therapeut:in/Ärzt:innen eingestellt werden (denke hier vor allem an Apps aus dem Bereich Teletherapie)
Sind hier die Therapeuten sekundäre und Patienten primäre Benutzer
ODER
beide primäre Benutzer?
mfg Eva Propst
Liebe Frau Probst,
vielen Dank für Ihre Frage.
Wenn die Therapeuten das Produkt im Rahmen der Zweckbestimmung (Diagnose, Behandlung, Prävention) einsetzten, würden sie laut der Definition dieses Artikels zu den primären Benutzern zählen. Wenn die Therapeuten eher Aufgaben wie Installation, Einrichtung oder Wartung übernehmen, zählen sie zu den sekundären Benutzern. Die FDA und die IEC 62366-1 machen diese Unterscheidung nicht. Insofern müssen Sie im Rahmen des Usability-Engineering-Prozesses beide Benutzer berücksichtigen und dokumentieren.
Ich hoffe meine Antwort hilft Ihnen weiter, ansonsten fragen Sie gerne nach.
Herzliche Grüße
Nils Becker