Wissenschaftliches Arbeiten
Alle Studierenden, so auch die Teilnehmer der berufsbegleitenden Masterstudiengänge am Institut, erstellen Abschlussarbeiten: Projektarbeiten, Bachelorarbeiten, Masterarbeiten. Dabei stellt man mir oft die Frage, ob die drei Arbeiten eher praktisch oder eher wissenschaftlich zu sein hätten. Beides ist kein Widerspruch, ganz im Gegenteil:
Wissenschaftliches Arbeiten: Die Grundlagen
Wissenschaftliches Arbeiten heißt, Ergebnisse systematisch, vollständig, allgemeingültig, objektiv und überprüfbar abzuleiten.
Außer dem Punkt der Allgemeingültigkeit sollte jedes Arbeiten auch in der Firma diesen Grundsätzen des wissenschaftlichen Arbeitens genügen! Dass dies in der Praxis oft nicht erfolgt, ist mir bewusst. Deshalb ist eine in der Praxis übliche Vorgehensweise nicht praxisorientiert, sondern schlichtweg unsystematisch, unüberprüfbar, unvollständig und wenig objektiv. Dass sich manche Führungskräfte ihres Bauchgefühls loben, ist für mich eher Beweis dafür, dass sie mangelnde Präzision zum Kult erheben. Ein Bauchgefühl hat seine Berechtigung, wenn Fakten nicht erhoben werden können.
Wissenschaftliches Arbeiten hat also nichts mit akademischer Abstraktheit und Praxisferne zu tun, sondern mit „Best Practices“, die im Berufsalltag viel zu kurz kommen. Meine Studierenden verstehen das und wissen es für sich zu nutzen.
Richtig zitieren
Ein Aspekt des wissenschaftlichen Arbeitens ist die Überprüfbarkeit. Daher muss man als Dritter die genutzten Quellen finden und prüfen können.
Darf man aus dem Internet zitieren?
Im Kreis meiner Professoren-Kollegen kam erneut die Frage auf, ob man Internet-Quellen wie Wikipedia zitieren dürfe. Ist das noch wissenschaftliches Arbeiten?
Wenn Experten um Antworten auf diese Frage ringen, diskutieren sie meist die Güte und Verlässlichkeit der Wikipedia Artikel. Sie vergleichen diese mit konventionellen Lexika, beklagen die Manipulation der Artikel durch Lobbyisten, loben andererseits die Aktualität und kommen schlussendlich zu keinem Konsens.
In der Informatik haben wir oft gar keine andere aktuellen Quellen als die des Internets. Die Tatsache, dass diese Quellen aber meist keine einzige Qualitätssicherung wie ein Lektorat oder ein Peer Review durchlaufen haben, sollten alle beachten, die sich auf diese Quellen stützen.
Bei vielen Studierenden beobachte ich aber, dass man vorhandene und geprüfte Quellen wie wissenschaftliche Journals und Bücher nicht einmal systematisch sucht. Wissenschaftliches Arbeiten heißt aber, genau auch diese Quellen recherchiert zu haben!
Falls Sie Internetquellen zitieren, dann beachten Sie folgende Hinweise:
- Nennen Sie den vollständigen Link, nicht nur die URL der Domain
- Ergänzen Sie die Quellenangabe um das Datum des letzten Ablaufs
- Speichern Sie sicherheitshalber die Seite ab, um im Streitfall einen Beleg zu haben.
Genau deshalb besuche ich am Institut mit den Studierenden des berufsbegleitenden Masterstudiengangs „IT im Gesundheitswesen“ gleich in der ersten Studienwoche die fantastische Hochschulbibliothek, in der wir das Recherchieren lernen. Eine Fähigkeit, die nicht nur für das Schreiben von Abschlussarbeiten hilfreich ist.
Zitieren von E-Books: Problem mit den Seitenzahlen
Immer mehr verdrängen E-Books die klassischen Bücher. Schon bei den Büchern galt es zu beachten, dass sich die Seitenzahlen in verschiedene Auflagen unterschieden. Doch wie sieht das bei E-Books aus, bei denen es überhaupt keine Seitenzahlen mehr gibt? Hierzu ein paar Tipps:
- Dokumentieren Sie, welche Edition Sie referenzieren. Ist es die Kindle-Version? Die EPub-Version?
- Nutzen Sie Prozentzahlen oder
- nutzen Sie nummerierte bzw. eindeutig identifizierbare Überschriften, Tabellen oder Abbildungen als Anker. So könnten Sie beispielsweise schreiben „siehe <Autor> in <Titel> (<Auflage> oder/und <Jahr> oder/und <Version>): 3. Abschnitt nach <Überschrift>.
ich habe mal eine Frage zum zitieren, ich habe mir einen Teil der Bücher ganz modern als Kindle Edition gekauft und will jetzt daraus Zitieren, das Problem, es gibt keine verlässliche Seitenanzahl mehr… auf meinem iPad hat das Buch völlig andere Seitenanzahl als auf meinem Kindle…
Die Besonderheit bei den E-Books liegt also darin, dass es verschiedene Versionen eines Buchs einer bestimmten Ausgabe gibt und dass Sie nicht auf Seitenzahlen referenzieren können, weil die Lesegeräte und die einstellbare Schriftgröße die Seitenumbrüche bestimmen. Bei PDF-Dokumenten fällt diese zusätzliche Herausforderung weg.
Fallen beim Zitieren von Wikipedia und Lexika
Die wissenschaftlich Arbeitenden z.B. die Studierenden müssen immer dann zitieren, wenn sie bestehendes Wissen für ihre Arbeit voraussetzen und dem Leser dieses Wissen zugänglich machen wollen. Deshalb finden sich die meisten Zitate zumindest bei Arbeiten im technisch-naturwissenschaftlichen Umfeld in den „Theoriekapiteln“. Und genau hier sollten sich die Studierenden die folgenden Fragen stellen:
- Wiederholung von Bekanntem: Wenn das Wissen, das für die Arbeit vorausgesetzt wird, so allgemein bekannt ist, dass es in einem Lexikon oder in Wikipedia auftaucht, weshalb muss es dann überhaupt nochmals so ausführlich wiedergegeben werden? Hat die Arbeit nicht genug Substanz, so dass Bekanntes breitgewalzt werden muss? Weshalb muss ich als Bewertender zum gefühlt 1000. Mal lesen, was HTTP ist oder wie das DRG-System funktioniert?
- Arbeit ohne Erkenntnisgewinn: Der nächste Verdacht den ich habe, wenn Lexikon- bzw. Wikipedia-Artikel die Basis für die Arbeit bilden, besteht darin, dass der Neuigkeitsgrad nicht sehr hoch sein kann. Meist muss man in einem schmalen und spezialisierten Themenbereich aufsetzen, um unbearbeitete Fragestellungen zu finden. Diese Themenbereiche behandeln aber meist wissenschaftliche Fachartikel und nicht Lexika. Wenn die relevanten Fachartikel aber fehlen, weiß ich ebenfalls, dass nicht wissenschaftlich sauber gearbeitet wurde. Die Gefahr ist hoch, dass das angeblich Neue, längst publiziert wurde.
- Primärquellen nicht recherchiert: Wissenschaftler veröffentlichen in der Regel nicht in Wikipedia. Daher liegt als nächster Verdacht nahe, dass der Autor der Abschlussarbeit schlicht zu faul war, die Primärquellen zu suchen.
Für mich lautet die entscheidende Frage daher nicht, ob Wikipedia zitierfähig ist. Entscheidender finde ich, ob diese Artikel überhaupt benötigt werden. Damit möchte ich nicht sagen, man solle keine Wikipedia Artikel zitieren. Ich würde sogar empfehlen, mit diesen Artikeln zu starten, und von dort aus zu den Primärquellen vorzustoßen. Wikipedia ersetzt aber keine systematische Literaturrecherche beispielsweise in den einschlägigen Datenbanken.
Dass Studenten Wikipedia nicht zitieren sollten, meint übrigens sogar der Gründer von Wikipedia, wie Sie in einem Interview mit „Technology Review“ nachlesen können.
Wissenschaftliches Arbeiten: Sich selbst zitieren
Abschreiben darf man nicht. Zumindest darf man sich nicht dabei erwischen lassen. Dies haben viele deutsche Politiker mit der Aberkennung ihrer Doktorwürde teuer bezahlt.
Darf man auch bei sich selbst nicht abschreiben, fragen mich nun die Teilnehmer meiner berufsbegleitenden Studiengänge beispielsweise dann, wenn ihre Masterarbeit auf einer anderen Arbeit (z.B. erste Masterarbeit oder Bachelorarbeit) aufsetzt. Was macht man, wenn man keine Literatur findet?
Das Zitieren (gleich welcher Quelle) verfolgt folgende Ziele:
- Man will unterscheiden können, welche Gedanken (in dieser Arbeit!) eigen und neu sind und von wem andere Gedanken stammen.
- Man will nachvollziehen können, ob der Autor die ursprünglichen Quellen korrekt widergibt und die eigene These wirklich untermauert.
Für das „Sich-selbst-Zitieren gelten somit die gleichen Regeln wie für das Zitieren anderer:
- Man muss die Primärquelle angeben und nicht jemanden, der die Primärquelle zitiert ohne neue Gedanken hinzugefügt zu haben. Häufig sind Autoren zu faul, der Sache wirklich auf den Grund zu gehen.
- Alle Quellen, die nicht zugänglich sind, sind auch nicht zitierfähig. Eine nicht publizierte Hausarbeit, gleich ob es die eigene oder eine fremde ist, ist nicht zitierfähig.
Das bedeutet aber auch, dass es absurd ist, sich innerhalb der eigenen Arbeit zu zitieren oder zu referenzieren. Bildunterschriften wie „Quelle: Eigene Darstellung“ sind absurd: Davon geht man doch aus, dass alles, was nicht explizit als eine andere Quelle gekennzeichnet ist, von einem selbst stammt!
Und wenn die Quellen fehlen?
Mit hoher Wahrscheinlichkeit lautet eine wissenschaftliche Teilfrage einer jeden wissenschaftlichen Arbeit „was ist zu diesem Thema bereits veröffentlicht?“ Die Methode zur Beantwortung dieser Frage ist die Literaturrecherche. Wenn diese Suche keine Ergebnisse liefert, d.h. wenn es keine Literatur gibt, dann gibt es keine. Die Methode sollte man aber dennoch beschreiben, konkret die Suchstrategie: In welchen Datenbanken und Quellen man mit welchen Suchbegriffen (einschließlich Synonymen und Verknüpfungen) sucht.
Weiter würde man die Suchergebnisse angeben. Das kann durchaus die leere Menge sein. In den meisten Fällen finde ich im Gegensatz zu den Aussagen meiner Studierenden doch auf relevante Quellen.
Bei nur wenigen Arbeiten mag die wissenschaftliche Teilfrage nach der Literatur obsolet sein. Meistens will man gerade zeigen, dass eine wissenschaftliche Frage nicht schon in Gänze oder teilweise beantwortet ist und daher die Arbeit noch eine Berechtigung hat. Wenn man den Stand der Wissenschaft zu der Fragestellung darlegen will, kommt man um die Literaturrecherche nicht herum.
Wissenschaftliches Arbeiten: Weitere Aspekte
Themenfindung
Viele Studierende tun sich schwer, ein passendes Thema zu finden. Manchmal bekommen sie das Thema auch vom „Prof“ vorgegeben. Aber ist das für den oder die Studierenden wirklich zielführend? Antworten auf diese Frage gibt Ihnen das folgende Video:
Die wissenschaftliche Methode
Wissenschaftliches Arbeiten zeichnet sich dadurch aus, dass Methoden gewählt wurden, die zur Beantwortung der wissenschaftlichen Fragestellung geeignet sind und dass die gewählten Methoden auch korrekt angewendet wurden.
Verschaffen Sie sich einen Überblick über mögliche Methoden und lernen Sie, welche typischen Fehler man dabei vermeiden sollte.
Die Disposition
Eine gute Planung ist die halbe Miete: Wann wollen Sie mit welcher Methode welche Teilfrage beantworten?
Die Disposition beschreibt diese Planung und dient damit der Verständigung des Schreibenden und des Betreuers.
Die Gliederung / Kapitelstruktur
Der Aufbau der Arbeit sollte sich an deren Inhalt und Ziel orientieren. Im wissenschaftlichen Umfeld haben sich jedoch übliche Vorgehensweisen und damit Strukturen etabliert, die Ihnen das folgende Video vorstellt.
Herausforderungen bewältigen
Vor den folgenden Problemen stehen die meisten, die eine wissenschaftliche Arbeit verfassen:
- Die Zeit reicht nicht
- Man scheint, in der Menge des Stoffs zu ertrinken
- Man weiß gar nicht, wo man beginnen soll oder eine Schreibblockade verhindert jeden Fortschritt
- Es gelingt einfach nicht, sich aufzuraffen. Die Menge an Arbeit lähmt.
Ein paar Tipps, wie Sie mit diesen Herausforderungen umgehen können, gibt Ihnen das folgende Video:
Und noch mehr
Sie finden auf dieser Seite die vollständige Serie an Videotrainings.
Hallo Herr Professor Johner,
ist das eigentlich auch juristisch eindeutig geregelt, ich meine wie zitiert werden muss. Oder macht hier jede Uni ihre eigenen Regeln ? Immerhin kann die Uni ja den Titel entziehen …
Was ist eigentlich mit irgendwelchem Bildmaterial in solchen Fachartikeln, kann man die verwenden oder kann man dafür abgemahnt werden, weil man ein Bild (natürlich mit
Quellangabe) verwendet hat (ähnlich wie bei Internetseiten)?
Zu meiner Zeit an der TU Berlin, hat man eigentlich zu dem Thema gar nichts gehört …
Schönen Gruß aus Berlin,
Hagen Rehbein
Lieber Herr Rehbein,
Sie haben völlig Recht, das Thema Urheberrecht habe ich in dem Beitrag gar nicht diskutiert. Das ist ein weitere ebenfalls wichtiger Aspekt.
Es gibt sehr viele Zitierweisen, und das ist teilweise auch Geschmacksfrage. Wichtig sind aber zumindest zwei Kriterien:
1. Die Quelle muss einfach, schnell und eindeutig identifiziert werden können.
2. Die Zitierweise sollte einheitlich sein, um den Leser nicht zu verwirren.
Generell haben die Unis schon einheitlich Vorstellungen. Und die meisten Arbeiten, die in die Kritik geraten, wären bei jeder Uni zum Problem geworden, hätten man richtig geprüft.
Lieber Herr Johner,
wenn es den Button auf ihrer Website gäbe, wäre ihnen für diesen Artikel ein „like“ von mir sicher.
Zum Thema Wikipedia: Wenn man den Studierenden/ Forschenden die Wikipedia als Startpunkt für die Quellensuche inkl. der spezifischen Fährnisse von Internetquellen rüberbringt, ist die Diskussion über die Zitierfähigkeit wohl grösstenteils gegessen.
Irgendwie werden wir die Vorstellung nicht los, dass was gedruckt ist irgendwie „relevanter“ oder „gesicherter“ ist. Wer genug gelesen hat, wird wohl zugeben müssen, dass auch viel BS gedruckt wurde – er wird deshalb nicht richtiger. Mit der Quellensicherheit haben wir nach wie vor Schwierigkeiten: Aus meiner Sicht ein reines Konfigurations Management Problem. Man sollte – wie empfohlen – referenzierte Pages standardmässig z.B. als PDF abspeichern.
Gruss + „like“
Stefan Beisswenger
Lieber Herr Beisswenger,
ich danke ganz, ganz herzlich für Ihr nettes Feedback!
Ihren Tipp und Ihre Ergänzung, die ich absolut unterschreibe!
Mit herzlichem Dank und den besten Grüßen
Christian Johner
Eine kleine Anmerkung zum Urheberrecht:
https://www.gesetze-im-internet.de/urhg/__51.html könnte hier relevant sein.
Danke für diese Ergänzung!