Die Digitalisierung der Produktion ist ein wesentlicher Bestandteil der digitalen Transformation von produzierenden Unternehmen. Doch nicht alle Unternehmen profitieren im gleichen Maß von Digitalisierungsmaßnahmen.
Dieser Artikel beschreibt,
- wie hoch die Einsparungen typischerweise sind,
- welche Firmen besonders profitieren und
- wie Hersteller bei der Digitalisierung ihrer Produktion vorgehen sollten.
1. Was ist die Digitalisierung der Produktion?
Die Digitalisierung der Produktion umfasst zwei Bereiche:
- Die Automatisierung von Tätigkeiten, z. B. durch Roboter
- Die Unterstützung der Mitarbeitenden bei manuellen Tätigkeiten durch eine gute Informationsversorgung.
Dieser Artikel legt den Fokus auf dem zweiten Aspekt, der Unterstützung manueller Tätigkeiten durch die Informationsversorgung.
Statt einer Arbeitsweisung auf Papier erhält eine Mitarbeiterin in der Montage auf einem Bildschirm eine genaue Anleitung. Diese ist spezifisch für das zu montierende Produkt und für jeden Arbeitsschritt. Der jeweils nächste Handgriff wird erklärt und sofort rückgemeldet, ob die Mitarbeiterin diesen erfolgreich durchgeführt hat.
2. Weshalb ist die Digitalisierung der Produktion wichtig?
Eine prozessorientierte, digitale Informationsversorgung löst Laufzettel, handschriftliche Dokumentation und statische Anweisungen ab. Sie bietet gegenüber der papierbasierten Arbeitsweise vielfältige Vorteile:
- Prozesssicherheit: Weniger Fehler (minus 20 bis 70 % manuelle Fehler)
- Prozesseffizienz: Höhere Produktivität (plus 15 bis 40 %)
- Höhere Flexibilität durch geringere Anlernzeiten
- Größere Zufriedenheit und Motivation der operativen Mitarbeitenden, z. B. durch moderne Arbeitsplätze, durch schnelles Feedback und Erfolgserlebnisse
- Transparenz und Reaktionsfähigkeit im laufenden Betrieb
- Rückverfolgbarkeit („Traceability“): Lückenlose Prozess- und Qualitätsnachweise
Insbesondere die Prozesssicherheit und Rückverfolgbarkeit wirken sich positiv auf die Konformität der Produktion aus, die in regulierten Branchen, und somit auch bei der Produktion von Medizinprodukten, gesetzlich gefordert ist.
Durch die handlungsleitenden Informationen …
- gelingt eine schnellere Montage.
- gibt es weniger Nacharbeiten.
- entfällt der Aufwand für die Problemsuche.
- verringert sich der Ausschuss.
- fällt die manuelle Dokumentation der Aktivitäten und der Prüfungen weg.
Typischerweise lassen sich dadurch pro Arbeitsplatz und Jahr zwischen 7.000 EUR und 20.000 EUR einsparen. Das ergibt für einen Produktionsbereich oder eine Produktionslinie schnell ein Potenzial von 50.000 EUR bis 200.000 EUR.
Die Digitalisierung der Produktion ist zudem ein wichtiges Instrument, um mit dem Fachkräftemangel umzugehen:
- Zum einen befähigt sie auch weniger spezifisch ausgebildete Personen, die Tätigkeiten durchzuführen.
- Zum anderen reduziert sie die Anzahl der benötigten Personen.
Durch das konsequente Sammeln und Verarbeiten von Informationen sammeln die Unternehmen einen Datenschatz, den sie über ein Process Mining auswerten können. Ziel dabei ist, neue Probleme zu lösen und die Prozesse weiter verbessern zu können.
3. Wer profitiert von dieser Digitalisierung?
Die Digitalisierung der Produktion ist ein Pluspunkt für:
- Unternehmen, die Produkte mit kurzen Produktlebenszyklen herstellen, beispielsweise weil sie mit der Konkurrenz mithalten müssen oder die Produkte häufig technischen Änderungen unterworfen sind
- Unternehmen, deren Produkte hohe Qualitätsanforderungen erfüllen müssen
- Unternehmen, deren Produktion einen spürbaren Einfluss auf die Profitabilität hat
- Unternehmen, bei denen vergleichsweise anspruchsvolle Tätigkeiten von Personen mit niedrigem Ausbildungsgrad erledigt werden müssen
- Unternehmen, die hohen regulatorischen Nachweispflichten unterliegen
4. Wie wird die Digitalisierung der Produktion zu Erfolg?
Tipp 1: Keine Technikverliebtheit
Legen Sie vor Projektbeginn den erwarteten Return on Invest (ROI) fest.
Streben Sie Digitalisierung nicht aus reiner Technikverliebtheit an! Die Potenziale lassen sich sehr früh abschätzen und im Lauf des Transformationsprojekts fortlaufend überprüfen.
Tipp 2: In Phasen vorgehen
Setzen Sie Ihr Digitalisierungsprojekt in diesen vier Phasen/Schritten um:
- Potenziale quantifizieren, ROI berechnen (siehe Tipp 1)
- Bestehende Prozesse analysieren (wichtig!)
- Aus der Analyse passende Lösung ableiten
- Diese Lösung implementieren
Tipp 3: Mitarbeitende früh einbinden
Insbesondere in Phase 2 (Analyse) sollten Sie alle Betroffenen einbinden:
- Die Mitarbeitenden in der Produktion können ihre Expertise in die Lösungsfindung einbringen. Da sie es sind, die später mit der Lösung arbeiten, sichert das auch die Akzeptanz für neue Prozesse.
- Die IT-Abteilung sollte früh ins Projekt eingebunden werden, um die technische Umsetzung realisieren und bei deren Validierung mitwirken zu können.
- Das Qualitätsmanagement ist notwendig, weil üblicherweise Verfahrens- und Arbeitsanweisungen angepasst werden müssen.
- Ggf. ist der Betriebsrat zu informieren, wenn Daten gesammelt werden, die Rückschlüsse auf die Produktivität der Mitarbeitenden erlauben.
Tipp 4: Die Analyse „bottom-up“ durchführen
Wer Prozesse verbessern will, muss die Prozesse verstehen. Das gelingt selten, wenn Sie diese nur „von oben“ betrachten. Vielmehr hilft es, in der laufenden Produktion die Prozesse zu beobachten, Daten aufzunehmen und die Mitarbeitenden zu befragen.
Man spricht bei einer Analyse am Ort des Geschehens, hier der Produktion, von „Going to Gemba“.
Das Analyseergebnis dient als Diskussionsgrundlage für das mittlere und obere Management, um einheitliche und effektive Lösungen zu identifizieren.
Tipp 5: Prozesse „Ende-zu-Ende“ optimieren
Ein lokales Optimum hilft Ihrem Unternehmen wenig. Sie sollten abteilungsübergreifend die ganze Prozesskette analysieren und sie mit diesem Verständnis stückweise optimieren.
Beschränken Sie sich in der Betrachtung daher nicht auf die Produktion oder gar einzelne Arbeitsschritte, sondern auf den gesamten Prozess der Wertschöpfung:
- von der Kundenbestellung über
- die Auftragserstellung und
- Arbeitsvorbereitung bis zu
- Produktion/Herstellung und
- Versand.
Die Informationsanalyse ist eine wichtige Methode, um Prozessketten in Gänze zu analysieren.
Als ein Ergebnis dieser Analyse haben Sie identifiziert und geklärt:
- Datenquellen und Datensenken (sowohl die Art der Daten als auch die Personen/Rollen, die diese Daten erzeugen bzw. benötigen)
- Art dieser Entstehung (elektronisch, manuell)
- Transport dieser Daten (Papier, elektronisch)
- Den tatsächlichen Datenbedarf
Am Ende dieser Aktivitäten steht Ihr klares Zielbild des künftigen Prozesses und der „Informationslogistik“.
Tipp 6: Regulatorische Anforderungen ermitteln und erfüllen
Insbesondere in regulierten Märkten müssen Sie als Hersteller gesetzliche und normative Anforderungen erfüllen. Dazu zählen die Anforderungen:
- Validierung der computerisierten Systeme (CSV) – auch im Sinne 21 CFR part 11
- Prozessvalidierung
- Kompetenz der Mitarbeitenden
- Lenkung der Vorgabedokumentation (Anweisungen) und Aufzeichnungen (u. a., um die regulatorischen Anforderungen an die produzierten Produkte nachzuweisen)
- Datenschutz (inklusive Rollen und Zugriffsrechte)
- Datensicherheit
Das Johner Institut hält für Sie weitere Fachartikel zur Computerized Systems Validation (CSV), zur Prozessvalidierung und zur IT-Sicherheit aktuell.
Unterschätzen Sie nicht die Aufwände, insbesondere für die Validierung. Denken Sie daran, diese in Ihrer Projektplanung und ROI-Berechnung zu berücksichtigen.
- Die Validierung von Prozessen und Systemen setzt voraus, dass die Anforderungen an diese Prozesse und Systeme prüfbar spezifiziert werden.
- Eine weitere Voraussetzung ist die Inventarisierung der beteiligten Systeme und Komponenten sowie die Spezifikation von deren Schnittstellen.
- Die Validierung sollte risikobasiert erfolgen, was eine Risikoanalyse (auch im Sinne der ISO 14971) voraussetzt.
- Die Validierung ist ein fortlaufender Prozess, der sich in den Betrieb der Systeme fortsetzt. Deshalb sollte man Fehlermeldungen sammeln, die Systeme bei Änderungen (z. B. Updates) revalidieren und Fehlerlogs auswerten.
Tipp 7: Informierte „Make or buy decision” treffen; Tools nutzen
Auf dem Markt gibt es eine Vielzahl an Systemen, die Ihnen bei der Digitalisierung der Produktion helfen:
- Digitale Assistenzsysteme (DAS; auch bekannt als Werkerführung, Mitarbeiterinformationssysteme) sind Softwarelösungen, um operative Mitarbeitende im Prozess mit der Darstellung aufgabenrelevanter (!) Informationen zu versorgen.
- Die funktional umfangreicheren Manufacturing-Execution-Systeme (MES) verfügen häufig ebenfalls über einzelne Module mit vergleichbaren Funktionen.
DAS unterstützen die Mitarbeitenden
- beim Erkennen der richtigen Arbeitsschritte (insbesondere bei hoher Produktvarianz durch Kontexterkennung),
- bei der Prozessdokumentation und
- der Prozesskontrolle,
- durch die Ausgabe der passenden Informationen (z. B. auch beim Anlernen und Einarbeiten) und
- durch die Datenerfassung und -analyse (etwa im Rahmen einer Echtzeit-Qualitätsauswertung).
Die am Markt verfügbaren Systeme verfügen über unterschiedliche Kombinationen der beschriebenen Funktionen. Sie sollten Ihre Anforderungen genau kennen, bevor Sie sich für den Kauf bzw. die Lizenzierung eines Systems entscheiden.
Greifen Sie dabei nur auf solche Systeme zurück, die es erlauben, die regulatorischen Anforderungen nachzuweisen.
Die Optimierung (einschließlich Automatisierung) von Prozessen darf vor der Produktion nicht halt machen. Im Gespräch mit Prof. Johner zeigt Dr. Keller, welche Probleme sich in der Produktion durch die Digitalisierung lösen lassen, wie man diese Digitalisierung erreicht und was regulatorisch betrachtet werden muss.
Diese und weitere Podcast-Episoden finden Sie auch hier.
5. Fazit und Zusammenfassung
Die digitale Transformation von Unternehmen umfasst auch die Digitalisierung der Produktion. Rechnet sich der ROI für diese Digitalisierung, helfen dabei in den meisten Fällen am Markt verfügbare Tools. Diese Tools sind jedoch zu validieren und sollten erst nach einer Analysephase in Erwägung gezogen werden.
Hersteller in regulierten Branchen wie Medizinproduktehersteller profitieren am stärksten von der Digitalisierung der Produktion.
Das Johner Institut unterstützt Medizinproduktehersteller bei der Ermittlung der regulatorischen Anforderungen (auch in der Produktion) und bei der Validierung von Prozessen und computerisierten Systemen. Nehmen Sie gerne Kontakt mit uns auf.
Um den erfolgreichen Abschluss des Projekts zu gewährleisten, unterstützt die Firma AssistIng Hersteller in allen Branchen bei der Potenzial- und Prozessanalyse, bei der Prozessoptimierung, bei der Auswahl von Tools sowie beim Projektmanagement.
Sehr geehrter Herr Prof. Johner,
vielen Dank für diesen wirklich guten Beitrag zur Digitalisierung, der in vielen Firmen einfach verschlafen wird.
Jedoch teile ich Ihre Aussage „befähigt sie auch weniger spezifisch ausgebildete Personen, die Tätigkeiten durchzuführen“ nicht ganz. Ich hoffe auch, dass einige Mitleser dies nicht so verstehen, wenn die Produktion digitalisiert wurde, dass nur noch „billige Leiharbeiter“ eingestellt werden müssen und alles ist gut, denn das System macht das ja schon.
Gerade die Einführung und Aufbau der Digitalisierung fordert entsprechende ausgebildete und geschulte Mitarbeiter mit dem dazugehörenden Bewusstsein. Denn daran scheitern oft solche Projekte, vor allem auch an dem fehlenden Bewusstsein der obersten Leitung und damit auch den Führungskräften sowie der fehlenden Bereitschaft, Ressourcen für Schulungen der Digitalisierung bereitzustellen. Denn auch die Kenntnisse der Mitarbeiter zu solchen Systemen und Anwendung (siehe allein die „Kenntnisse zu Office-Produkten“) wird oftmals überschätzt.
Später wird es wahrscheinlich einfacher, wenn neue Mitarbeiter eingestellt werden, da die Systeme Grenzen und Standards vorgeben und damit sich die Streuung durch den Menschen reduzieren sollte.
Mit vielen Grüßen
Oliver Graus
Sehr geehrter Herr Graus,
danke für Ihre Gedanken!
Wie die Leser den von Ihnen angemerkten Satz interpretieren, weiß ich leider nicht. Ich wollte jedenfalls nicht nahelegen, dass man künftig weniger ausgebildete Personen einstellen sollte, sondern dass man die Personen, welche relativ gemessen an der Komplexität und Verantwortung der Aufgabe nicht top ausgebildet sind, besser unterstützt kann.
Ich teile uneingeschränkt Ihre Einschätzung, dass für die digitale Transformation gleich welcher Prozesse sehr gut ausgebildete Mitarbeitende benötigt werden. Auch stimme ich Ihnen völlig zu, dass der Fisch nicht vom Kopf stinken darf: Ressourcengeiz an der falschen Stelle ist ein Faktor, der zum Scheitern von Digitalisierungsprojekten beiträgt.
Danke, dass Sie Ihre Gedanken geteilt und mir die Möglichkeit auch zu Klarstellungen gegebeben haben.
Beste Grüße, Christian Johner
Sehr geehrter Professor Johner,
als Online-Marketing-Agentur aus Deutschland verfolgen wir mit großem Interesse die transformative Kraft der Digitalisierung im Produktionssektor. Ihr jüngster Blogbeitrag liefert uns wertvolle Einblicke in dieses Thema. Die Art und Weise, wie Sie den Prozess, die Vorteile und die Schlüsselschritte für eine erfolgreiche Digitalisierung in der Produktion darlegen, hat uns besonders angesprochen, vor allem in der heutigen, schnelllebigen Technologielandschaft.
Ihr Fokus auf die Bedeutung der Digitalisierung in der Produktion, insbesondere in Bezug auf die Automatisierung von Tätigkeiten und die Verbesserung manueller Abläufe durch bessere Informationsversorgung, trifft genau ins Schwarze. Wir beobachten, dass viele Unternehmen diese Möglichkeiten noch nicht vollständig ausschöpfen, oft aus Mangel an Verständnis oder Angst vor Neuem. Ihr Artikel entmystifiziert diesen Prozess auf eindrucksvolle Weise und macht ihn greifbarer und umsetzbarer.
Die von Ihnen bereitgestellten Statistiken und Beispiele zur Effizienzsteigerung und Einsparpotenzial durch Digitalisierungsinitiativen sind besonders beeindruckend. Es ist faszinierend zu erfahren, dass typische Einsparungen pro Arbeitsplatz jährlich zwischen 7.000 EUR und 20.000 EUR liegen können. Diese Zahlen unterstreichen die greifbaren Vorteile der digitalen Transformation, nicht nur in Bezug auf Kosteneinsparungen, sondern auch bei der Verbesserung der Prozesseffizienz und Mitarbeiterzufriedenheit.
Ihre praktischen Tipps zur Implementierung der Digitalisierung in der Produktion, wie die Vermeidung von Technikverliebtheit und die Bedeutung der Einbindung von Mitarbeitern in den Prozess, sind unschätzbar wertvoll. Wir haben selbst erlebt, wie Projekte scheitern können, wenn die Zustimmung derjenigen fehlt, die an vorderster Front stehen, und Ihre Betonung dieses Aspekts ist entscheidend.
Als Unternehmen, das sich darauf stolz ist, immer einen Schritt voraus zu sein, sehen wir in Ihrem Artikel eine klare Bestätigung unserer Überzeugung, dass die Digitalisierung in der Produktion nicht nur eine Option, sondern eine Notwendigkeit für zukunftsorientierte Unternehmen ist. Wir freuen uns darauf, die von Ihnen vorgestellten Konzepte und Ansätze in unserer eigenen Praxis zu integrieren und unseren Kunden dabei zu helfen, diese transformative Reise erfolgreich zu meistern.
Vielen Dank für Ihre wertvollen Einsichten und die Bereitstellung eines so fundierten und praktischen Leitfadens zur Digitalisierung in der Produktionsbranche.
Mit freundlichen Grüßen aus Neuss,
Šukri Jusuf
Herzlichen Dank für Ihre ausführlichen Gedanken! Beste Grüße, Christian Johner
Interessant zu sehen, wie unterschiedlich die Kommentare die Thematik der Digitalisierung im Produktionssektor aufgreifen. Der Artikel von Prof. Dr. Christian Johner über die Digitalisierung der Produktion wirft wirklich ein neues Licht auf die Flexibilität und Effizienz moderner Produktionsprozesse.
Als jemand, der im Bereich Online Marketing tätig ist, finde ich es faszinierend, wie digitale Technologien, ähnlich wie in unserer Branche, die Produktionslandschaft verändern. Es zeigt sich deutlich, dass die intelligente Integration von Technologie nicht nur die Effizienz steigert, sondern auch zu einer erheblichen Kostensenkung führen kann.
Dieser Artikel inspiriert dazu, über parallele Anwendungen dieser Technologien in anderen Branchen, wie etwa im Online Marketing, nachzudenken.