Wie wichtig gute Definitionen sind, stellt man z. B. fest, wenn es mit einem Gesprächspartner Missverständnisse gibt. Im schlimmeren Fall einer juristischen Auseinandersetzung entscheiden Definitionen darüber, ob ein Haftungsfall vorliegt oder sogar eine Straftat. Unklare Definitionen, insbesondere in Gesetzestexten, erhöhen die rechtliche Unsicherheit.
Dieser Artikel zeigt einen Weg auf, wie Sie gute Definitionen schreiben und die Güte bestehender Definitionen bewerten können. Wir geben Ihnen eine Checkliste an die Hand, mit denen Sie die Güte von Definitionen leicht überprüfen können. Damit ermöglichen Sie eine wirkungsvolle Kommunikation und erreichen Klarheit sowie Sicherheit bei juristischen Fragestellungen.
1. Definition des Begriffs Definition
Starten wir mit der Definition des Begriffs Definition:
2. Gute Definitionen schreiben
Eine Definition setzt sich meist nach der folgenden Formel zusammen:
zu definierender Begriff = Gattungsbegriff + einschränkende Merkmale
Beispiel: Die MDR definiert ein invasives Produkt wie folgt:
„invasives Produkt“ bezeichnet ein Produkt, das durch die Körperoberfläche oder über eine Körperöffnung ganz oder teilweise in den Körper eindringt;
„Produkt“ ist hier der Gattungsbegriff. Das einschränkende Merkmal ist die Festlegung, dass dieses Produkt durch die Körperoberfläche oder über eine Körperöffnung ganz oder teilweise in den Körper eindringen muss, um zur Klasse der invasiven Produkte zu zählen.
Eine Bewertung dieser Definition finden Sie weiter unten.
Wenn Sie eine gute Definition schreiben wollen, sollten Sie wie folgt vorgehen:
Schritt 1: Gattungsbegriff(e) finden
In der Regel sollte eine Definition nur einen Gattungsbegriff nutzen. Das gelingt aber nicht immer, wie das folgende Beispiel zeigt:
„Medizinprodukt“ bezeichnet ein Instrument, einen Apparat, ein Gerät, eine Software, ein Implantat, ein Reagenz, ein Material oder einen anderen Gegenstand, das … [einschränkende Merkmale]
Es ist wichtig, einen möglichst genauen Gattungsbegriff zu finden. In einer Taxonomie ist z. B. der Begriff zu wählen, der möglichst tief im hierarchischen Klassifikationssystem zu finden ist.
Beispielsweise wäre es nicht ideal, eine Appendizitis als Krankheit zu definieren. Besser wäre es, die Appendizitis als eine Entzündung zu bezeichnen oder als Erkrankung des Verdauungstrakts, so wie das die ICD-10-Klassifikation tut.
Dieses Beispiel zeigt auch, dass ein Begriff in die Klassen mehrerer Gattungsbegriffe fallen kann (hier Entzündungen und Erkrankungen des Verdauungstrakts). Dies kennt man u. a. aus polyhierarchischen Klassifikationssystemen wie z. B. Snomed.
Schritt 2: Einschränkende Merkmale festlegen
Auch hier ist die Mengenlehre gefragt: Jetzt wird eine gefundene Menge durch einschränkende Merkmale eingegrenzt. Dies geschieht anhand von einem oder mehreren Attributen.
Diese Attribute wiederum können durch Kombinationen von „und“ und „oder“ miteinander verknüpft werden. Das obige Beispiel der invasiven Produkte nutzt Oder-Verknüpfungen:
„das durch die Körperoberfläche oder über eine Körperöffnung ganz oder teilweise in den Körper eindringt“
Ein invasives Produkt ist demnach ein Produkt, bei dem ein oder mehrere der folgenden Merkmale gegeben sind:
- Das Produkt kann ganz durch die Körperoberfläche in den Körper eindringen.
- Das Produkt kann teilweise durch die Körperoberfläche in den Körper eindringen.
- Das Produkt kann ganz über eine Körperöffnung in den Körper eindringen.
- Das Produkt kann teilweise über eine Körperöffnung in den Körper eindringen.
Genau genommen erfolgt die Einschränkung in zwei Schritten:
- Das Attribut festlegen und damit die Dimensionen einschränken
- Den Wert oder die Werte des jeweiligen Attributs in jeder jeweiligen Dimension festlegen
Im obigen Beispiel sind es zwei Attribute mit je zwei Werten:
- Der Ort des Eindringens: „Körperöffnungen“ und „Körperoberfläche“
- Die Vollständigkeit des Eindringens: „ganz“ und „teilweise“
Schritt 3: Definition anhand der Checkliste überprüfen
Zum Schluss sollte man die neue Definition mithilfe der folgenden Checkliste prüfen:
- Die Definition definiert nur einen Begriff.
- Die Definition ist keine Tautologie, d. h., sie enthält keinen Zirkelbezug wie „Ein Säugetier ist ein Tier, das seine Jungen säugt“ oder „Ein Gewässer [ist] ein oberirdisches Gewässer, das Grundwasser und das Meer;“ (§ 330d StGB Abs. 1 Nr. 1).
- Die Definition verwendet nur definierte Begriffe (z. B. Gattungsbegriffe).
- Zu anderen verwendeten Begriffen besteht kein Zirkelbezug.
- Die Definition besteht nur aus einem oder mehreren Gattungsbegriffen sowie aus einem oder mehreren einschränkenden Merkmalen.
- Die Gattungsbegriffe sind möglichst spezifisch.
- Die Definition enthält keine Erläuterungen, Begründungen oder Beispiele. Diese gehören zu den Anmerkungen.
- Die Attribute sind atomar, können also nicht in kleinere Einheiten zerlegt werden.
- Die Attribute sind orthogonal und damit „überschneidungsfrei“. Damit ist auch sichergestellt, dass die Definition möglichst wenige Attribute verwendet.
- Die Attribute sind einfach und binär entscheidbar.
- Die Attribute erweitern den Gattungsbegriff nicht, was im folgenden Beispiel der Fall ist: „Invasive Produkte sind Medizinprodukte, die zum Behandeln von Tieren verwendet werden.“ In Europa werden Medizinprodukte nur für Patienten verwendet.
- Attribute müssen „typenrein“ sein und dürfen keine Erläuterungen, Beispiele und Begründungen enthalten.
- Die Bezüge in einer Definition müssen absolut klar sein. Beispielsweise könnte die Definition des Begriffs „invasives Produkt“ die Diskussion auslösen, ob sich „ganz oder teilweise“ nur auf die Körperöffnungen oder auch auf die Körperoberfläche bezieht.
3. Definitionen: Beispiele aus MDR und IVDR
MDR und IVDR enthalten viele Definitionen (die MDR 71). Die Güte der meisten Definitionen hält der Überprüfung durch die obige Checkliste stand. Doch es gibt auch Definitionen, die Fragen aufwerfen:
Definition |
Anmerkung |
„Rückruf“ bezeichnet jede Maßnahme, die auf Erwirkung der Rückgabe eines dem Endverbraucher schon bereitgestellten Produkts abzielt; | Zählt damit die Aufforderung eines Herstellers, ein Produkt zurückzugeben, weil es nicht bezahlt wurde, als Rückruf? Möglicherweise ist der Gattungsbegriff „jede Maßnahme“ nicht korrekt. |
„Gemeinsame Spezifikationen“ bezeichnet eine Reihe technischer und/oder klinischer Anforderungen, die keine Norm sind und deren Befolgung es ermöglicht, die für ein Produkt, ein Verfahren oder ein System geltenden rechtlichen Verpflichtungen einzuhalten. | Viele Best Practices, die von Behörden und Benannten Stellen anerkannt und genutzt werden (z. B. der KI-Leitfaden des Johner Instituts), enthalten Anforderungen, die dabei helfen, Verpflichtungen einzuhalten, die keine Norm und dennoch keine „Gemeinsame Spezifikation“ sind. Sowohl der Gattungsbegriff als auch die Attribute sind ungeeignet. Ein besserer Gattungsbegriff wäre „eine von der EU-Kommission veröffentlichte Reihe technischer oder/und klinischer Anforderungen, …“ |
„Produktmangel“ bezeichnet eine Unzulänglichkeit bezüglich Identifizierung, Qualität, Haltbarkeit, Zuverlässigkeit, Sicherheit oder Leistung eines Prüfprodukts, einschließlich Fehlfunktionen, Anwendungsfehlern oder Unzulänglichkeit der vom Hersteller bereitgestellten Information; | Hier ist wahrscheinlich der Gattungsbegriff unvollständig und es müsste „Unzulänglichkeit eines Produkts bezüglich…“ heißen. Dies liegt zumindest nahe. |
4. Warum es dem Recht schwerfällt, Technologiebegriffe zu definieren
Dass Leser an den Definitionen von Rechtsvorschriften oft verzweifeln, hängt nicht immer mit der grundlegenden Güte dieser Definitionen zusammen. Die Schwierigkeit besteht oft in den speziellen Anforderungen, die das Recht an Definitionen stellt. Diese vertragen sich nicht immer mit Bereichen, die sich schnell verändern. Und dazu zählen vor allem technologiebezogene Branchen wie die Medizintechnik.
a) So konkret wie möglich
Rechtliche Regelungen müssen hinreichend bestimmt sein. Das bedeutet, dass Definitionen nicht zu viel Interpretationsspielraum lassen dürfen. Nur dann gibt es Rechtssicherheit, sprich, die rechtlichen Folgen sind vorhersehbar.
Beispiel: Statt „ein angemessener Abstand“ ist die Formulierung „ein Abstand von zwei Metern“ sehr viel konkreter.
Besonders wichtig sind konkrete Formulierungen bei Strafandrohungen. Droht beispielsweise das deutsche Recht im StGB mit Strafen, gelten besonders strenge Maßstäbe. Straft der Staat, müssen die Bürger ersehen können, welches Verhalten genau zur Strafe führen kann. Aber auch in anderen Fällen kann es wichtig sein, in einer Rechtsvorschrift besonders konkrete Vorgaben zu machen.
Umgekehrt dürfen Rechtsvorschriften auch nicht über den Wortlaut hinaus ausgelegt werden. Zwar ist es möglich, auch in Gesetzen und Vorschriften zwischen den Zeilen zu lesen und zu interpretieren, was vermutlich gemeint war; diese Interpretation darf jedoch nicht den Wortlaut brechen. Steht in einer Definition „Abstand von zwei Meter“, kann man nicht einfach einen Abstand von vier Metern hereininterpretieren, nur weil einem dies vielleicht angemessener erscheint.
b) So weit wie nötig
Wenn die Bezugspunkte der Begriffe, die das Recht definiert, sich rasch ändern, wird es schwierig mit den konkreten Vorgaben. Denn je konkreter die Definition, desto starrer ist sie meist auch. Dieser Widerspruch trifft insbesondere Rechtsvorschriften zur Regulierung von Branchen, in denen es häufig Neuerungen gibt – beispielsweise die Medizintechnik.
Es geht also um die Quadratur des Kreises: Man braucht Definitionen, die so konkret sind, dass sie Rechtssicherheit bieten, aber dennoch so weit gefasst, dass sie sich geänderten Umstände anpassen lassen, ohne dass der Wortlaut gebrochen wird.
c) Was hilft?
Bei einem solchen Balanceakt ist es besonders wichtig, Definitionen von hoher Güte zu verfassen (vgl. Punkt 2). Zusätzlich sind viele Vorschriften wie die MDR an einigen Stellen bewusst vage gehalten. Diese Unbestimmtheiten werden mit Instrumenten gefüllt, die sich leichter anpassen lassen als Rechtsvorschriften, beispielsweise mit Common Specifications. Allerdings helfen auch diese Präzisierungen meist nur eine geraume Zeit – nämlich bis sie durch neue Entwicklungen veralten.
Letztlich führt daher kein Weg daran vorbei, rechtliche Definitionen regelmäßig auf ihre Güte und Aktualität zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen. Das stellt sicher, dass sich eine Rechtsvorschrift in der Praxis auch anwenden lässt. In Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht bereits mehrfach entschieden (BVerfGE 16, 130, 142; 88, 203, 309 f.; 130, 263, 302), dass der Gesetzgeber zur Aktualisierung von Regelungen bei Bedarf verpflichtet ist.
5. Fazit
Gute Definitionen sind unerlässlich, gerade wenn es um das Recht geht. Doch unabhängig von der grundsätzlichen Güte des Textes ist es nicht immer einfach, allen Anforderungen gerecht zu werden. Wir empfehlen Ihnen daher, sich an unserer Checkliste zu orientieren. Erfüllt Ihre Definition alle dort genannten Kriterien, müssen Sie sich um deren Güte nicht sorgen.
Ist Ihnen eine schlechte Definition in einer rechtlichen Regelung zur Medizintechnik aufgefallen? Informieren Sie uns durch einen Kommentar zu diesem Beitrag! Wir leiten diese an unsere Regulatory Scientists weiter, die mit wissenschaftlichen Mitteln dazu beitragen, das Gesundheitssystem und seine Regulierung zu verbessern. Mehr zum Thema Regulatory Science lesen Sie in diesem Beitrag.