Bei der Eigenherstellung von Medizinprodukten gelten geringere regulatorische Anforderungen als bei solchen Produkten, die in Verkehr gebracht werden. Doch das gilt nur unter bestimmten Bedingungen.
Erfahren Sie in diesem Artikel, wann eine Eigenherstellung vorliegt und was Sie als Hersteller und Betreiber beachten müssen, um nicht mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten.
1. Eigenherstellung: Was die MDR regelt
Stellen Gesundheitseinrichtungen Medizinprodukte selbst her und verwenden sie auch selbst, gewährt die EU-Medizinprodukteverordnung MDR unter bestimmten Bedingungen rechtliche Erleichterungen. Produkte aus Eigenherstellung müssen insbesondere kein Konformitätsbewertungsverfahren durchlaufen, was Aufwand und Kosten erheblich reduziert. Außerdem kann auf das Einbeziehen einer Benannten Stelle verzichtet werden.
Geregelt sind die Erleichterungen in Artikel 5 Abs. 5 MDR:
„Mit Ausnahme der einschlägigen grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen gemäß Anhang I gelten die Anforderungen dieser Verordnung nicht für Produkte, die ausschließlich innerhalb von in der Union ansässigen Gesundheitseinrichtungen hergestellt und verwendet werden“
Quelle: Art. 5 Abs. 5 MDR
Lesen Sie mehr zu IVD aus Eigenherstellung in unserem Beitrag zu Inhouse-IVD.
2. Die Voraussetzungen für rechtliche Erleichterungen
Damit Produkte aus Eigenherstellung von den Erleichterungen der MDR profitieren, müssen sie die folgenden Voraussetzungen erfüllen:
- Sie müssen in EU-ansässigen Gesundheitseinrichtungen hergestellt und verwendet werden.
- Sie dürfen nicht in Verkehr gebracht bzw. an eine andere Einrichtung abgegeben werden.
- Sie müssen den Anforderungskatalog aus Art. 5 Abs. 5 MDR erfüllen.
a) Gesundheitseinrichtung
Der „Eigenhersteller“ muss eine Gesundheitseinrichtung sein, die ausschließlich innerhalb der Union ansässig ist.
Was unter „Gesundheitseinrichtung“ fällt, definiert die MDR in Art. 2 Ziff. 36.
Hierunter fallen typischerweise z. B. Kliniken oder Arztpraxen.
Zur Eigenherstellung von IVD in medizinischen Laboren erfahren Sie mehr im Beitrag Inhouse-IVD.
b) Eigenherstellung und Eigennutzung
Außerdem müssen die Produkte ausschließlich innerhalb der Gesundheitseinrichtung hergestellt und verwendet werden. Sie dürfen nicht an eine „andere rechtlich eigenständige Einrichtung“ abgegeben werden.
Damit ist die Eigenherstellung und -nutzung von Medizinprodukten insbesondere vom Inverkehrbringen abzugrenzen.
Unterschied zum Inverkehrbringen
Die MDR versteht unter „Inverkehrbringen“:
„Inverkehrbringen“ bezeichnet die erstmalige Bereitstellung eines Produkts, mit Ausnahme von Prüfprodukten, auf dem Unionsmarkt
Quelle: Art. 2 Ziff. 28 MDR
Der wichtigste Unterschied zwischen der Eigenherstellung und dem Inverkehrbringen liegt darin, dass bei der Eigenherstellung das Medizinprodukt in einer Gesundheitseinrichtung hergestellt und in der gleichen Einrichtung auch verwendet wird, während beim Inverkehrbringen eine „Abgabe an andere“ vorliegt.
Auch keine Abgabe an andere Gesundheitseinrichtungen
Dem Wortlaut von Art. 5 Abs. 5 MDR/IVDR nach gilt dies auch für die Abgabe an andere Gesundheitseinrichtungen. Das heißt: Wenn eine Gesundheitseinrichtung für eine andere Gesundheitseinrichtung ein Medizinprodukt erstellt, handelt es sich um Inverkehrbringen. Das wäre z. B. dann der Fall, wenn ein Krankenhaus einem anderen Krankenhaus seine Skripte überlässt. Ob dies entgeltlich oder unentgeltlich geschieht, ist dabei unerheblich.
Keine industrielle Produktion
Auch wenn die Gesundheitseinrichtung das Medizinprodukt im industriellen Maßstab herstellt (Massenproduktion), handelt es sich nicht mehr um die Eigenherstellung bzw. -Nutzung von Medizinprodukten. Es gelten dann die üblichen Regelungen der MDR für Medizinprodukte.
c) Anforderungskatalog aus Art. 5 Abs. 5 MDR
Produkte, die wie beschrieben in einer Gesundheitseinrichtung hergestellten und ausschließlich dort genutzt werden, müssen kein Konformitätsbewertungsverfahren durchlaufen. Sie müssen aber dennoch bestimmte Anforderungen erfüllen, die die MDR in Art. 5 Abs. 5 auflistet.
Hersteller müssen
- beim Produkt die im Anhang I der MDR genannten grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen einhalten.
- ein QM-System für Herstellung und Verwendung etablieren.
- begründen, dass es auf dem Markt kein gleichartiges Produkt gibt, das die speziellen Anforderungen der Patienten erfüllt.
- eine öffentliche Erklärung abgeben, u. a. mit Namen und Anschrift, Angaben zur Identifikation des Produkts, Erklärung, dass das Produkt die grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen gemäß Anhang I MDR erfüllt. Gegebenenfalls Angaben dazu machen — mit entsprechender Begründung —, welche Anforderungen nicht vollständig erfüllt sind.
- das Produkt, dessen Zweckbestimmung und die Herstellung spezifizieren.
- Erfahrungen mit dem Produkt sammeln und bewerten. Falls notwendig CAPA.
3. Beispiele, was Eigenherstellung ist und was nicht
a) Beispiele für die Eigenherstellung von Medizinprodukten
Eine Eigenherstellung liegt beispielsweise in folgenden Fällen vor:
- Ein Forscherteam einer Uniklinik entwickelt ein Gerät, mit dem Krebszellen mit Radiostrahlung zerstört werden und wenden dieses Gerät an den Patienten der eigenen Klinik an.
- Der Medizintechniker eines Krankenhauses baut einen Visitenwagen aus einem handelsüblichen Wagen (kein Medizinprodukt), einem EKG-Gerät, einem Laptop, auf dem das KIS läuft, einer Mehrfachsteckdose und einer Batterie zusammen.
- Die niedergelassene Onkologin entwickelt eine Excel-Tabelle mit Formeln, mithilfe derer sie die Dosis-Schemata für ihre Patienten abhängig von dem Körpergewicht, der Körpergröße und einiger Diagnosen berechnet.
Häufig sind Eigenherstellungen keine kompletten Neuentwicklungen, sondern
- Kombinationen von Medizinprodukten mit Nichtmedizinprodukten,
- Änderungen von Medizinprodukten (außerhalb der vom Hersteller festgelegten Zweckbestimmung) und
- Verwendung des Produkts ggf. nach Änderungen zu einem vom Hersteller nicht vorgesehenen Zweck.
b) Abgrenzung Eigenherstellung und Parametrierung / Customizing
Klinische Informationssysteme (z. B. PDMS, KIS) bieten unzählige Möglichkeiten der Parametrierung, um das Produkt für die jeweilige Klinik, deren Abläufe und anzuschließende Produkte und Systeme passend zu konfigurieren.
Bedeutet solch eine Konfiguration bereits eine Eigenherstellung? Wie sieht es aus, wenn die Anpassung auch kleine Programme z. B. in Form von Skripts erlaubt? Beispielsweise, wenn der Arzt einen eigenen „Score“ berechnen will, um kritische Patienten schneller zu identifizieren?
Die Zweckbestimmung entscheidet
Ob eine Eigenherstellung oder Parametrierung vorliegt, hängt nicht davon ab, ob programmiert wird, ob eine grafische Benutzerschnittstelle Parameter einstellen lässt oder ob Werte in einer Datenbank verändert werden. Es ist die Zweckbestimmung, die entscheidet, ob eine Anpassung eines Medizinprodukts als Eigenherstellung zu betrachten ist.
Beispiele
Wenn die Zweckbestimmung vorsieht, dass entsprechend qualifizierte Anwender Skripts in einer Maske eingeben dürfen, um so eine eigene Funktionalität zu implementieren bzw. eine bestehende Funktionalität zu ändern, dann fällt dieses Programmieren in den bestimmungsgemäßen Gebrauch. Es liegt keine Eigenherstellung vor.
Falls hingegen ein Anwender ein identisches Programm schreibt, diese „Erweiterung“ vom Hersteller aber nicht vorgesehen ist, wäre das als Eigenherstellung zu verstehen. Der Anwender bzw. die Gesundheitseinrichtung müssten die entsprechenden regulatorischen Voraussetzungen erfüllen, die weiter unten vorgestellt werden.
c) Abgrenzung Eigenherstellung und Kombination von Produkten
Viele Eigenherstellungen erfolgen dadurch, dass die Gesundheitseinrichtungen Produkte kombinieren (siehe Beispiele weiter oben). Doch nicht jede Kombination bedeutet eine Eigenherstellung.
Wenn eine Gesundheitseinrichtung mehrere Medizinprodukte (mit CE-Zeichen) zu einem neuen Produkt kombiniert und wenn sie dabei diese Produkte in ihrer ursprünglichen Zweckbestimmung verwendet (und damit diese Kombination im Sinne der jeweiligen Hersteller ist), hat die Gesundheitseinrichtung kein neues Produkt kreiert, es hat keine Eigenherstellung vorgenommen.
Wenn hingegen die Gesundheitseinrichtung bzw. deren Anwender Medizinprodukte und Nichtmedizinprodukte kombinieren, insbesondere, ohne dass diese Kombination vom Hersteller des Medizinprodukts vorgesehen wurde, ist eine Eigenherstellung zu vermuten.
4. Tipps
a) Tipps für Hersteller
Die meisten Streitfälle entstehen, wenn etwas passiert ist. Wenn Menschen oder Güter zu Schaden kamen oder eine juristische Klärung aus einem anderen Grund (z. B. Abmahnung) ansteht.
Diese Streitfälle könnten in den meisten Fällen vermieden werden, wenn Hersteller klare Regelungen getroffen hätten,
- was genau die Zweckbestimmung des Medizinprodukts umfasst,
- welche Änderungen erlaubt sind und welche nicht (das betrifft auch den Virenschutz),
- mit welchen anderen Medizin- und Nichtmedizinprodukten das eigene Produkt kombiniert werden darf,
- wer für Reparaturen, Updates und Upgrades berechtigt und ggf. verpflichtet ist,
- welche Voraussetzungen die Anwender erfüllen müssen (Ausbildung, Schulungen) und
- unter welchen Umständen der Hersteller einbezogen werden muss.
Hersteller sollten und müssen in der Risikoanalyse sehr sorgfältig die Auswirkungen analysieren. Bei Software sind das falsche Parametrisierungen, Konfigurationen oder falscher Programmierung durch die Anwender (Scripting). Zu diesen Auswirkungen zählen:
- Destabilisierung des Systems: System stürzt ab, System wird durch umfangreiche Berechnungen ausgebremst
- Verfälschte Daten, Daten in falschen Einheiten, versehentlich gelöschte Daten, vertauschte Daten
- Falsche Workflows, Aufgaben erreichen die Zielperson nicht oder nicht zum gewünschten Zeitpunkt
- Falsche Berechtigungen: Personen sehen Daten, zu denen sie nicht befugt sind. Oder sie sehen Daten nicht, die sie für ihre Arbeit benötigen
b) Tipps für Betreiber und Gesundheitseinrichtungen
Den Betreibern sei v. a. Bewusstsein darüber empfohlen, welche regulatorischen Implikationen ihr Handeln hat. Produkte „einfach zusammenschalten“, neue Produkte und Verfahren am Patienten ausprobieren, das geht nicht. Ein Ethikvotum ist im letzteren Fall eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung. Die grundlegenden Anforderungen der Medizinprodukteverordnung MDR müssen unter anderem erfüllt sein. Und deren Einhaltung und deren Nachweis sind nicht banal.
Bei der MDR müssen die Gesundheitseinrichtungen eine schriftliche Begründung bereithalten, weshalb es keine gleichwertigen Produkte auf dem Markt gibt.
Wenn Betreiber das System im Rahmen der Zweckbestimmung parametrieren, konfigurieren oder programmieren, müssen sie die Auswirkungen ihres Tuns im Sinne einer Risikobewertung analysieren. Das sorgfältige Testen zählt auch in Krankenhäusern zu den Best Practices!
Versionshistorie:
- 2022-09-22: Beitrag in Hinblick auf neues Recht überarbeitet
Prima Zusammenfassung des Themas!
Immer weiter in den Focus geraten PDMS. Diese werden häufig mit aktiven MP kombiniert Hier ist die Netzwerkproblematik nicht zu unterschätzen, da häufig Betreiber zu MP-Herstellern werden, auch wenn z.B. Medizinprodukte in das „normale“ IT-Netzwerk eingeschleift werden (Qualitätssicherung f. POCT-Geräte). Hier wird das IT-Netz zu einem Medizinprodukt und der Betreiber haftet für den sicheren Betrieb des Gesamtsystems. Nicht umsonst gibt es die IEC 80001-1 in der ein Risikomanagement für MIT-Netzwerke dargestellt wird.
MfG
Hallo, danke für den Beitrag! Wie sieht es eigentlich bei Implantationen aus? Wenn bspw. der Anwender eine Hüftprothese zweckwidrig zusammensetzt, z.B. indem er herstellerfremde Medizinprododukte verwendet. Liegt dann auch eine Eigenherstellung vor, oder ein Inverkehrbringen? Ist der Patient „Dritter“? Im Grunde liegt ja eine körperliche Abgabe vor. Dann wäre § 10 Abs. 2 MPG einschlägig?
Eine zweckwidrige Anwendung muss keine Eigenherstellung sein. Wenn der Betreiber jedoch ein Medizinprodukt (bewusst) nicht im Sinne des Herstellers mit anderen Medizinprodukten kombiniert, kann durchaus eine Eigenherstellung vorliegen. Eine Inverkehrbringung wäre das nicht. Die läge vor, wenn er anderen Anwendern das Produkt zur Verfügung stellen würde.
Das Thema Eigenherstellung nach § 12 MPG ist leider durch den Gesetzgeber (MPG) als auch durch den Verordnungsgeber (Medizinprodukte-Betreiberverordnung) nicht transparent geregelt. Solange ein Medizinprodukt mit einem anderen Medizinprodukt oder auch Nicht-Medizinprodukt zweckbestimmt kombiniert wird, entsteht keine EIgenherstellung nach § 12 MPG sondern ist § 4 Abs. 4 der MPBetreibV zu beachten! Ein IT-Netzwerk wird nicht zum Medizinprodukt, nur weil ein Medizinprodukt mit einem Netzwerk-Schnittstelle aufgeschaltet bzw. integriert wird. Der Hersteller hat die Anbindung entsprechend vorgesehen.
Aber: Die MPBetreibV fordert den Nachweis der Eignung der Kombination eines Medizinproduktes nicht nur mit anderen Medizinprodukten sondern auch mit anderen Gegenständen wie z. B. dem IT-Netzwerk einer Gesundheitseinrichtung. Wenn man dies ordentlich nachweist – und das kann man leisten, wenn man sich mit den regulatorischen Anforderungen auseinandersetzt – dann kann man zulässigerweise Medizinprodukte z. B. über ein IT-Netzwerk mit einem PDMS kombinieren, ohne dass der Tatbestand der Eigenherstellung nach § 12 MPG vorliegt. Es kommt also immer auf die vom Hersteller des Medizinproduktes formulierte Zweckbestimmung und den bestimmungsgemäßen Gebrauch an.
Wenn man sich damit intensiv auseinandersetzt, stellt man schnell fest, dass man bei der Integration von Medizinprodukten in IT-Netzwerke keine Eigenherstellung betreibt und nicht zum Hersteller wird. Dies wird eine Gesundheitseinrichtung nur dann, wenn sie entgegen der Zweckbestimmung oder davon abweichend Medizinprodukte betreibt, einsetzt, anwendet oder gravierend ändert. Eine Eigenherstellung liegt beispielsweise vor, wenn ein Chirurg eine Aortenklemme umbiegt, um sie als Bauchklemme oder umgekehrt zu verwenden. Das wäre eine wesentliche Änderung der Zweckbestimmung. Auch die Zusammenstellung eines Gerätewagens für die Endoskopie muss keine Eigenherstellung sein.
Man vermeidet diese Diskussion und sorgt für rechtliche Klarheit, wenn man sich mit den Unterlagen und Angaben der Hersteller der zu kombinierenden Produkte auseinandersetzt und dies zusammenfassend darlegt, wenn die Zweckbestimmungen bzw. Unterlagen eine Kombination zulassen. Die MPBetreibV forder in § 4 Abs. 4, die Eignung der Sicherheit einer solchen Kombination aus Medizinprodukt, IT-Netzwerk und PDMS nachzuweisen. Und dies kann man beispielsweise mit einem Risikomanagement unter Verwendung der DIN EN 80001-1 durchführen und belegen.
Vielen Dank für Ihre hilfreichen Ausführungen Herr Prof. Johner und Herr Gärtner!
Ich verstehe nicht ganz, inwiefern eine zweckwidrige Anwendung keine Eigenherstellung sein muss.
Ist nicht jede Anwendung außerhalb der Zweckbestimmung auch eine Änderung der Zweckbestimmung? Wenn auf das Produkt physisch eingewirkt wird, ist die Änderung der Zweckbestimmung und die Eigenherstellung mE eindeutig. Was ist aber, wenn ein Stent, der eigentlich vom Hersteller für den Einsatz in der Oberschenkel- und Leistenarterie bestimmt ist, vom Arzt in Gehirngefäßen eingesetzt wird, ohne dass auf das Produkt physisch eingewirkt wird?
Von einer Eigenherstellung spricht man üblicherweise, wenn etwas hergestellt wird. Wenn ein Produkt wider die Zweckbestimmung eingesetzt wird, nennt man das meist „off-label use“. In beiden Fällen hat der dafür Verantwortliche die Einhaltung der grundlegenden Anforderungen nachzuweisen.
Sehr interesannte Beiträge, vielen Dank an die Beteiligten. Grade die Kombination von Medizin und nicht Medizin Produkten ist für mich nicht eindeutig nachvollziehbar.
Wie sieht es zum Beispiel bei einer Kombination von mobilen Ultraschallsonden und einem handelsüblichen Tabet aus?
Wenn ich § 10 des MPG interpretiere gelange ich zu der Annahme, dass die Kombination eines eigenen Komformitätsbewertungsverfahrens bedarf, da ein Teil (Tablet) keine CE- Kennzeichnung nach Maßgabe des MPG trägt.
Wenn ich wiederum den ausführlichen Artikel von Herrn Gärtner mit dem Beispiel eines Gerätewagens berüchsichtige, wäre es nach MPBetreibV §4 nicht notwendig, die Kombination CE zertifizieren zu lassen, da die Verwendung der Sonde mit ensprechendem Tablet vom Hersteller vorgesehen ist und absolut in der Zweckbestimmung des Medizinproduktes liegt (somit auch keine Eigenherstellung nach §12 MPG).
Können die Experten in der Runde zu der genannten Thematik eine Einschätzung geben? Grade die Kombination Medizinprodukt + Tablet, Smartphone tritt in jungerer Vergangenheit immer häufiger und bei verschiedensten Herstellern auf.
Welche Pflichten hat in dem Fall der Hersteller und welche der Anwender?
Mit den besten Grüßen
Jan Willer
Sehr geehrter Herr Willer,
die beiden Anforderungen sind nicht im Widerspruch zu einander. Die MPBetreibV spricht auch von Produkten, die vom Betreiber kombiniert werden. Die MDD spricht von Produkten, die vom Hersteller kombiniert in Verkehr gebracht werden. D.h. §10 MPG bzw. Artikel 12 der MDD greifen. Es wäre dann besser, wenn der Hersteller beides getrennt verkauft.
Viele Grüße, Christian Johner
Sehr geehrte Damen und Herren, vielen Dank für die ausführlichen Beiträge. Als nicht-Experte ist mir der Fall der Kombination von Medizinprodukt und nicht- Medizinprodukt unter Berücksichtigung der Eigenherstellung noch nicht ganz transparent.
Im konkreten Beispiel geht es um die Kombination von einem Tablet und einer mobilen Ultraschallsonde. Wenn ich Anforderungen aus dem MPG § 10 richtig interpretiere, bedarf die Kombination beider Produkte einer erneuten CE-Zertifizierung da ein Bestandteil (Tablet) kein CE Zeichen im Sinne des MPG trägt.
Wenn man den Artikel §12 des MPG und den aufschlussreichen Artikel dazu von Herrn Gärtner berücksichtigt, könnte in dem Fall eher der § 4 Abs. 4 der MPBetreibV anwendung finden. Demnach wäre keine erneute CE Zertifizierung der Kombination aus Tablet und Ultraschallsone notwendig, da dies absolut im Sinne der Zweckbestimmt des Herstellers ist und entsprechend vorgesehen ist.
Grade in jüngerer Vergangenheit taucht die Kombination aus Tablet/ Smartphone und Medizinprodukt immer häufiger auf. Es wäre sehr interessannt eine Experteneinschätzung zu hören, was die Verantwortlichkeiten des Anwenders und auch des Herstellers in diesem konkreten Fall betrifft.
Sehr geehrter Herr Willer,
wenn ein Betreiber (Krankenhaus, Arzt) ein System, bestehend aus Medizinprodukt Ultraschallsonde und einem Nicht-Medizinprodukt Tablet von einem Hersteller kauft, dann muss dieser Hersteller dieses System nach Artikel 11/12 der Richtlinie bzw. § 10 MPG in Verkehr bringen.
Ein solcher Hersteller muss ein solches System nach den Anforderungen der Medizinprodukte-Richtlinie 93/42/EWG bzw. des deutschen Medizinproduktegesetzes zertifizieren, also die Konformität mit den Anforderungen der Medizinprodukte-Richtlinie nachweisen.
Das bedeutet, er muss ein neues Konformitätsbewertungsverfahren durchführen, das dann zu einer CE-Kennzeichnung des Systems mit einer Konformitätserklärung führt.
Wenn Sie hingegen ein Medizinprodukt Ultraschallsonde kaufen und selber als Betreiber mit einem Tablet zu einer Kombination zusammenstellen, dann greift in diesem Fall der § 4 Abs. 4 der Medizinprodukte-Betreiberverordnung.
Dieser § läßt die Kombination von Medizinprodukten wie Ultraschallsonde mit anderen Medizinprodukten, Zubehör, Software und anderen Gegenständen zu unter Berücksichtigung der Zweckbestimmung und des Nachweises der Eignung für die Sicherheit von Patient, Anwender, Dritter und Beschäftigter.
Unter einem anderen Gegenstand versteht die MPBetreibV Rechner, PC, Tablet, Smartphone, IT-Netzwerk usw.
Der Hersteller einer mobilen Ultraschallsonde hat ja bestimmungsgemäß den Anschluss an ein datenverarbeitendes Gerät vorgesehen, oder? Der bestimmungsgemäße Gebrauch ist in der Gebrauchsanweisung beschrieben wie Anwendung, Reinigung, Instandhaltung, Anschluss an andere Produkte etc.
Die (medizinische) Zweckbestimmung definiert im engen Sinne den medizinischen Zweck, für den ein Hersteller ein Medizinprodukt vorsieht.
Leider wird dieser Begriff auch häufig für den bestimmungsgemäßen Gebrauch verwendet. In der MPBetreibV steht zwar auch überall Zweckbestimmung, teilweise ist damit aber der bestimmungsgemäße Gebrauch gemeint, siehe Definition in der DIN EN 60601-1 – Kapitel 3 Abschnitt 3.7.1
Hersteller verkaufen gerne Einzelprodukte, damit hat der Käufer = Betreiber die Verantwortung, die rechtlichen Anforderungen der MPBetreibV nachzuweisen.
Ich hoffe, diese Ausführungen helfen Ihnen.
Falls Sie weitere Hilfe benötigen, können Sie mich gerne kontaktieren.
mfg
Armin Gärtner
Sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank für die hilfreichen Antworten! Entschuldigen Sie den doppenten Eintrag, ich war der Annahme, dass der erste verloren gegangen sei.
Diesbezüglich hätte ich noch eine Unklarheit:
Ab welchem Zeitpunkt bringt der Hersteller ein System nach §10 MPG in Verkehr?
Angenommen die Sonde ist einzeln zugelassen und vermarktet. Auf Nachfrage liefert der Sondenhersteller jedoch ein Tablet eines anderen Herstellers mit (oder schickt es beispieltweise eine Woche später einzeln). Die Einheiten sind somit nicht verbunden, der gleiche Hersteller liefert nur zwei separate Produkte.
Muss der Hersteller in diesem Fall das System (Sonde+Tablet PC) nach §10 MPG einem Konformitätsbewertungsverfahren unterziehen (oder reicht evtl. dann eine Systemerklärung nach MDD Artikel 12?).
Wann greift in dem Szenario die MPBetreibV §4 Abs. 4, mit dem einige Pflichten auf den Anwender übertragen werden?
Vielen Grüße,
Jan Willer
Sehr geehrter Herr Willer,
ich beantworte Ihre Fragestellung aus technischer Sicht.
Hersteller bietet ein System aus Ultraschallsonde und Tablet als System an und bringt dies mit dem Verkauf auch in Verkehr.
Wenn Sie sich ein solches System vom Hersteller anbieten und komplett beauftragen, greifen die Anforderungen der RIchtlinie bzw. des § 10 MPG.
Haben Sie aber nur die Ultraschallsonde gekauft und kaufen eine Woche später auch noch ein Tablet dazu, weil Sie feststellen, dass die Sonde ohne ein datenverarbeitendes Gerät wie ein Tablet nicht einsetzbar ist, dann kombinieren Sie als Betreiber ein vorhandenes Medizinprodukt Ultraschallsonde mit einem dazu gekauften Tablet. Somit müssen Sie die Anforderungen der MPBetreibV – siehe § 4 Abs. 4 und andere Paragrafen erfüllen. Es ist dabei unerheblich, welcher Zeitraum zwischen Erstbeschaffung Ultraschallsonde und Nachkauf eines Tablets vergeht. Ausschlaggebend ist die Tatsache, dass Sie gegebenenfalls die Produkte einzeln kaufen.
Pragmantisch gesehen könnten Sie natürlich den Hersteller auf eine Systemerklärung ansprechen, insbesondere dann, wenn er eine solche für beide Produkte ausgestellt hat, Sie diese aber nicht angefordert bzw. nicht bekommen haben, weil Sie eben die beiden Produkte einzeln gekauft haben………
mfg
Armin Gärtner
An die Expertenrunde,
Sehen Sie Schnittmengen zwischen den Implant Files (https://www.icij.org/investigations/implant-files/) (https://www.icij.org/investigations/implant-files/) und der Eigenherstellung von Medizinprodukten? Sind Ihnen Implantate aus Eigenherstellung bekannt? Wäre dies angesichts der für Eigenherstellungen typischeren geringeren Risikoklassen überhaupt denkbar?
Sind Eigenherstellungen (sowie Spickhoff/Lücker) dies sehen für sämtliche Produkte möglich?
Beste Grüße
Eigenherstellungen bei Implantaten sind mir nicht in erwähnenswertem Umfang bekannt.
Die Klassifizierung ist von der Eigenherstellung unabhängig. Die Klassifizierung bestimmt das Konformitätsbewertungsverfahren. Bei einer Eigenherstellung müssen die benannten Stellen aber gerade nicht involviert werden.
Die Ursachen sind m.E. andere. Beispielsweise sind die Behörden chronisch unterbesetzt und unterausgebildet. Dass sie damit ihrer Pflicht nur bedingt nachkommen, zeigen die Artikel der Süddeutschen auf unschöne Weise.
Dadurch, dass man die Regeln verschärft hat, verhindert man Medizinprodukte, die wiederum Leben gerettet hätten. Wahrscheinlich ist der Schaden nun größer, nur nicht mehr so sichtbar einem Produkt, einer benannte Stelle oder einer Behörde zuordenbar.
Sehr geehrtes Team des Johner Institutes,
ich finde die Referenz zu Implantaten und Eigenherstellungen sehr spannend. Sind Eigenherstellung bei Implantaten aus Ihrer Sicht möglich ohne das Kriterium des Inverkehrbringens zu verletzen? Der Beginn der Definition lautet doch: „Inverkehrbringen ist jede entgeltliche oder unentgeltliche Abgabe von Medizinprodukten an andere.“. Bei der Implantation geht meines Wissens nach das Implantat in den Besitz des Patienten über. Wäre das nicht quasi ein Abgabe von einem Medizinprodukt? Gibt es ausführlichere Definitionen zum Wort Abgabe? Alle Ihrer Fallbeispiele sind Produkte, welche nicht an Patienten abgegeben werden, daher wäre eine Produkte, welches von den Patienten genutzt wird und unter Umständen auch mitgenommen sehr interessant.
Freundliche Grüße
T. Barth
Sehr geehrter Herr Barth,
danke für die spannende Frage!
Es ist unerheblich, ob die Produkte an Patienten oder an andere abgegeben werden. Es ist eine Inverkehrbringung.
Daher ist die Herstellung eines Implantats auch keine Eigenherstellung, selbst wenn man es selbst hergestellt hat. Das ist nur bei Produkten der Fall, die man für sich selbst herstellt d.h. für die eigene Nutzung.
Daher haben Sie absolut Recht, dass ich keine Beispiele genannt habe, bei denen das Produkt in den Besitz eines Patienten geht. Denn das wären Inverkehrbringungen und damit per definitionem keine Eigenherstellungen.
Mit vielen Grüßen, Christian Johner
Hallo zusammen,
vielen Dank für die vielen hilfreichen Hinweise zum Thema. Es gibt doch immerwieder Zweifel gerade auch zu den Begriffsklärungen wie Zweckbestimmung und bestimmungsgemäßer Gebrauch etc.
Nun noch eine Frage zum Thema chirurgischer Videoturm. Angenommen dieser wird durch den Hersteller/Vertriebler geliefert und besteht bei der Übergabe lediglich aus einer Videoeinheit (Kamera, Prozessor, Monitor) einer Datenverarbeitungseinheit, 2 Lichtquellen und dem Wagen selbst. Alles Medizinprodukte mit CE-Kennzeichnung.
Kann ich diesem System ohne dem bestimmungsgemäßen Gebrauch zu widersprechen aus Altbeständen einen Shaver und ein HF-Chirurgiegerät hinzufügen?
Werden die Anforderungen aus der MPBetreibV durch diese eigenhändige Kombination verletzt?
Ist hier eine vereinfachte Konformitätserklärung erforderlich?
Viele Grüße
Sehr geehrter Herr Dettke,
danke für Ihre spannende Frage! Um diese wirklich beantworten zu können, müsste ich wissen, ob Sie Hersteller oder Betreiber sind.
Als Hersteller müssten Sie eine Erklärung gemäß Artikel 12 der MDD abgeben auch auch beim DIMDI dieses System registrieren. Als Betreiber müssen Sie die Risiken analysieren, müssen aber keine Konformitätserklärung abgeben.
Viele Grüße, Christian Johner
Sehr geehrter Herr Johner,
danke für Ihre Antwort. Ich bin Dienstleister im Klinikum und habe aktuell die genannte Problemstellung.
Alle aktiven Systeme im Haus haben die erforderliche Dokumentation (Systembeschreibung, definierte Zusammenstellung und Fotos) als Fremdherstellung.
Da die aktuelle Situation quasi eine Eigenherstellung durch den Betreiber darstellt, beschäftigen mich die notwendigen Erfordernisse.
Viele Grüße, S. Dettke
Hallo Zusammen,
ich habe eine Frage. Wenn man bei einer primären Hüftprothese 2 unterschiedlichen Firmen benutzt, stellt man dann ein neues Produkt her ? Und bräuchte man dafür dann Wiederrum ein Konformitätsverfahren? Der Zweck ist ja prinzipiell der gleich es wird ja nichts entfremdet.
Vielen Dank im Voraus
Mit freundlichen Grüßen
S. Wedel
Sehr geehrte Frau Wedel,
danke für Ihre Frage!
Ich gestehe, noch nicht ganz sicher zu sein, was Sie mit „2 unterschiedliche Firmen benutzen“ meinen. Falls Sie darüber sprechen, dass Sie eine Hüftprothese aus zwei Hüftprothesen zweier unterschiedlichen Firmen „bauen“, dann ist das eine Herstellung, entweder eine Eigenherstellung oder eine Inverkehrbringung. Eine Eigenherstellung halte ich für rechtlich problematisch. Bei einer Inverkehrbringung muss das Produkt ein Konformitätsbewertungsverfahren durchlaufen.
Der Gesetzgeber und die Behörden sind insbesondere bei Prothesen sehr wachsam.
Beste Grüße, Christian Johner
Hallo Herr Johner,
Ich meine das man z.b die Hüftpfanne und Inlay von Firma X nimmt und den Schaft und Kopf von Firma Y.
Wenn Sie die beiden Teile zusammensetzen und das nicht in der Zweckbestimmung der jeweiligen Produkte vorgesehen ist, dann ist das eine Eigenherstellung.
Meine Vermutung — ohne Details zu kennen — ist, dass man sich damit in strafrechtlich relevantes Gebiet begibt.
Die Teile werden aber doch alle für den gleichen Zweck dann verwendet.
Interessant.
Sehr geehrter Herr Prof.Dr. Johner, ein klasse Beitrag. Ich würde die Frage der Frau Wedel gerne aufgreifen, weil mich folgendes interessiert: Eine Hüftprothese besteht aus 4 Komponenten (Hüftpfanne, Inlay, Kugel Kopf und Schaft). Alle Komponenten haben unabhängig welche Firma diese vertreibt, die gleichen Maße, Bauweise, Einsetzung etc, mithin alles identisch. Üblicherweise bestellt man alle vier Komponenten der Hüftprothese von einer Firma bzw. Hersteller.
Was ist aber, wenn die Komponenten der Prothese kombiniert werden, d.h der Schaft beispielsweise von der Firma X und die Pfanne oder Inlay von der Firma Y bestellt werden? Der Zweck wurde nicht entfremdet. Die Komponenten wurden wie vom Hersteller vorgesehen, zweckmäßig verbaut. Allerdings besteht die Prothese nicht in Ihrer Gesamtheit von einem Hersteller oder Firma , sondern von verschiedenen. Liegt in dem Fall eine eigene Herstellung vor?
Vielen lieben Dank
Sehr geehrte Frau V.,
danke für Ihre positive Rückmeldung!
Wenn alle vier Komponenten von einem Hersteller kommen, dann muss dieser Hersteller sicherstellen, dass diese miteinander funktionieren. Alleine aus der Tatsache, dass alle Komponenten nicht entfremdet werden, heißt nicht, dass die Anwendung sicher ist. Genau deshalb verlangt die MDD, dass man bei Systemen eine entsprechende Erklärung abgibt, wenn das „Produkt“ aus mehreren Medizinprodukten besteht.
Wenn Sie selbst Ihre Prothese auf Komponenten kombinieren, dann haben Sie diese Gewissheit bzw. Zusicherung nicht. D.h. Sie übernehmen die Verantwortung. Weil man das aber ohne sehr aufwändige Tests und Kenntnis des „inneren Aufbaus“ dieser Komponenten (die wahrscheinlich MPs sind) kaum nachweisen kann, halte ich dieses Kombinieren für sehr kritisch.
Beste Grüße, Christian Johner