MDR und IVDR stellen auf Hunderten Seiten Anforderungen, v. a. an die Hersteller von Medizinprodukten und IVD. Doch einige dieser Anforderungen betreffen auch die sogenannten Gesundheitseinrichtungen, also Kliniken, Krankenhäuser und medizinische Labore.
Das Verständnis dieser Anforderungen hilft den Betreibern, regulatorische Probleme zu vermeiden, und den Herstellern, im Markt erfolgreich zu agieren. Denn die regulatorischen Anforderungen an die Betreiber wirken sich auch auf die Hersteller aus.
1. Definition: Betreiber, Gesundheitseinrichtungen, Kliniken, Krankenhäuser, Spitäler, Labore
Weder die MDR noch die IVDR unterscheiden zwischen Betreibern, Kliniken, Krankenhäusern, Laboren und Spitälern. Für die EU-Verordnung sind dies „Gesundheitseinrichtungen“. Beide Verordnungen definieren diese buchstabengleich wie folgt:
„Organisation, deren Hauptzweck in der Versorgung oder Behandlung von Patienten oder der Förderung der öffentlichen Gesundheit besteht“
Quelle: MDR bzw. IVDR, Artikel 2
In Kapitel 2 der Leitlinie MDCG 2023-1 der Medical Device Coordination Group wird diese Definition präzisiert.
2. Anforderungen von MDR und IVDR an die Betreiber
a) Implantationsausweis
Artikel 18 der MDR verpflichtet die Gesundheitseinrichtungen (v. a. Betreiber wie Krankenhäuser und Kliniken) dazu, den Patient:innen, denen ein Produkt implantiert wurde, einen Implantationsausweis zur Verfügung zu stellen.
b) Eigenherstellung
Die EU-Verordnungen (MDR, IVDR) schränken die Freiheit der Gesundheitseinrichtungen ein, selbst Medizinprodukte zu entwickeln. Diese Eigenentwicklungen sind nur noch dann erlaubt, wenn auf dem Markt keine gleichwertigen Produkte mit CE-Kennzeichnung zur Verfügung stehen.
Falls keine adäquaten Alternativen verfügbar sind, müssen die Betreiber bzw. Labore für ihre Inhouse-Produkte die Anforderungen des Artikels 5 Absatz 5 der MDR bzw. der IVDR erfüllen. Dieser fordert u. a. ein QM-System. Selbstverständlich müssen auch die eigenhergestellten Produkte die grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen des Anhangs I (MDR, IVDR) erfüllen.
Lesen Sie mehr zur Eigenherstellung von Medizinprodukten und zur Eigenherstellung von IVD in den entsprechenden Artikel.
c) Nicht-Medizinprodukte, die Medizinprodukte werden
Sowohl die MDR als auch die IVDR haben andere die Definitionen der Begriffe „Medizinprodukt“ bzw. „In-vitro-Diagnostikum“ als die vorangegangenen Richtlinien MDD und IVDD. Dadurch fallen zusätzliche Produkte in den Anwendungsbereich dieser Verordnungen.
Beispiel Software
Die MDR hat die Definition des Begriffs „Medizinprodukt“ um die Zweckbestimmung „Vorhersagen und Prognosen“ erweitert, die IVDR um „die voraussichtliche Wirkung einer Behandlung oder die voraussichtlichen Reaktionen darauf“. Das betrifft v. a. Software-basierte Produkte, z. B. solche zur Berechnung von Scores.
Sobald diese Produkte als Medizinprodukte oder IVD zählen, gelten für die Eigenherstellung die bereits genannten Voraussetzungen, u. a.:
- Es darf kein vergleichbares Produkt mir CE-Kennzeichnung auf dem Markt existieren.
- Die Gesundheitseinrichtung muss ein QM-System etablieren und die grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen erfüllen.
d) UDI
Artikel 27 der MDR bzw. Artikel 24 der IVDR formulieren Anforderungen an die Unique Device Identification (UDI), die auch die Gesundheitseinrichtungen betreffen.
Wenn Gesundheitseinrichtungen wie Krankenhäuser implantierbare Produkte der Klasse III beziehen oder abgeben, müssen sie die UDI der Produkte speichern. Bei In-vitro-Diagnostika muss für alle Klassen die UDI gespeichert werden. Dies hat nennenswerte Auswirkungen auf die IT-Systeme und Prozesse von Kliniken, Laboren, Versorgungszentren und Arztpraxen.
Details werden künftig durch nationale Verordnungen geregelt, wie es der § 88 (Verordnungsermächtigungen) des MPDG in Absatz 1 Punkt 1 bereits festlegt, sowie mittels der sogenannten Durchführungsrechtsakte der Europäischen Kommission.
e) Klinische Prüfungen
Zumindest indirekt sind medizinische Labore und Kliniken betroffen durch die konkreten Anforderungen der EU-Verordnungen an klinische Prüfungen und Leistungsbewertungsprüfungen. Die Labore und Kliniken zählen dabei als Prüfstellen, die dortigen Ärzte als Prüfer. MDR bzw. IVDR verpflichten die Prüfer und Prüfstellen sicherzustellen, dass
- sie Zugang zu den technischen und klinischen Daten des Produkts haben,
- die Prüfung gemäß einem Prüfplan erfolgt,
- alle Daten aufgezeichnet werden,
- der Datenschutz gewährleistet ist,
- die notwendigen Qualifikationen vorhanden sind,
- der Sponsor der Prüfung über schwerwiegende unerwünschte Ereignisse sofort informiert wird,
- die Wünsche der Prüfungsteilnehmer gewahrt bleiben und entsprechende Einwilligungen und Erklärungen vorliegen und
- ein ausreichender Versicherungsschutz besteht.
f) Wiederaufbereitung von Einmalprodukten
Artikel 17 der MDR definiert natürliche oder juristische Personen, die Einmalprodukte aufbereiten, „als Hersteller des aufbereiteten Produkts [, die] daher allen Pflichten, die Herstellern gemäß dieser Verordnung obliegen, unterworfen“ sind. Allerdings erlaubt es die MDR den Mitgliedsstaaten, abweichende Vorgaben zu machen.
§ 4 des MPDG dazu lautet:
„[…] Gesundheitseinrichtungen, die Einmalprodukte nach Artikel 17 Absatz 3 der Verordnung (EU) 2017/745 aufbereiten oder aufbereiten lassen, haben dies vor Aufnahme der Tätigkeit unter Angabe ihrer Anschrift der zuständigen Behörde über das Deutsche Medizinprodukteinformations- und Datenbanksystem nach § 86 anzuzeigen, sofern sie nicht nach Artikel 31 der Verordnung (EU) 2017/745 zur Registrierung verpflichtet sind.“
§4 MPDG
Weitere Anforderungen werden künftig durch nationale Verordnungen gestellt. Besonders relevant wird § 88 (Verordnungsermächtigungen) des MPDG sein.
g) IT-Security
MDR und IVDR verpflichten die Hersteller, den Betreibern klare Vorgaben darüber zu erteilen, welchen Beitrag diese zur IT-Security gewährleisten müssen. Beispiele für Pflichten, die die Betreiber übernehmen müssen, sind:
- Anwender ausbilden, z. B. Bewusstsein für IT-Sicherheitsrisiken zu schaffen
- Firewalls bereitstellen
- Malware-Schutz installieren und aktualisieren
- Physischen Zugriffsschutz gewährleisten
- Rollen definieren und Zugriff auf Systeme und Daten regeln
- Geräte konfigurieren, z. B. Berechtigungen pflegen
3. Was davon auch die Hersteller betrifft
MDR und IVDR stellen weitere Anforderungen an die Betreiber, die indirekt auch die Hersteller betreffen.
a) Implantationsausweis
Artikel 18 der MDR zu den Implantationsausweisen betrifft die Hersteller direkt und indirekt. Sie können erwägen, den Krankenhäusern und Kliniken ein System zur Verfügung zu stellen, mit dem man die Aushändigung des Implantationsausweises dokumentieren und den Patienten Zugriff auf weitere Informationen zum implantierten Produkt verschaffen kann, z. B. zu Gebrauchsanweisungen.
b) Eigenherstellung
Einerseits profitieren Hersteller von dem Verbot bestimmter Eigenherstellungen durch Gesundheitseinrichtungen. Das ist dann der Fall, wenn sie (oder Mitbewerber) äquivalente, CE-gekennzeichnete Medizinprodukte bereitstellen.
Andererseits versuchen einige Hersteller – beispielsweise von klinischen Informationssystemen – ihre Produkte so mit einer Zweckbestimmung zu versehen, dass diese nicht als Medizinprodukte zu qualifizieren sind.
In diesen Fällen sollten sie die Zweckbestimmung eindeutig formulieren und den Gesundheitseinrichtungen Hilfestellung geben, wenn diese das Produkt als Medizinprodukt „konfigurieren“ wollen.
Lesen Sie hierzu den Artikel zur Konfiguration und Parametrierung von Produkten.
c) UDI
Die Gesundheitseinrichtungen müssen die implantierbaren Klasse-III-Produkte sowie alle IVD dokumentieren, die sie erhalten oder abgeben. Falls die IT des Krankenhauses dazu nicht in der Lage ist, bietet sich Herstellern die Möglichkeit, entsprechende Systeme zu vermarkten. Dies könnte z. B. in Form eines erweiterten Medizinproduktebuchs erfolgen.
d) Klinische Prüfungen
Die Mehrzahl der regulatorischen Anforderungen an klinische Prüfungen und Leistungsbewertungsprüfungen betreffen zwar die Inverkehrbringer; diese sollten jedoch die Labore und Kliniken dabei unterstützen, den Anforderungen gerecht zu werden.
Das Einholen der Genehmigungen zählt ebenso dazu wie das Angebot maßgeschneiderter Schulungen für Prüfer, das Bereitstellen der technischen und klinischen Daten sowie verständlicher Unterlagen für Prüfer und Probanden und ein engmaschiges Monitoring.
e) IT-Security
IT-Sicherheit wird es nur geben, wenn Hersteller und Gesundheitseinrichtungen Hand in Hand arbeiten. Dazu zählt, dass beide schriftlich die jeweiligen Anforderungen festlegen. Vorschläge dazu sollten die Hersteller formulieren, da sie die Risiken durch ihre Produkte am besten beurteilen können.
4. Fazit und Zusammenfassung
a) MDR und IVDR enthalten Vorgaben für Hersteller und Betreiber
Auch wenn die EU-Verordnungen ihre Anforderungen v. a. an die Hersteller richten: Sie enthalten doch viele Vorgaben an Gesundheitseinrichtungen wie Labore, Krankenhäuser, Kliniken, Versorgungszentren oder sonstige Betreiber.
b) Herausforderung Eigenherstellung
Diese Anforderungen betreffen die Gesundheitseinrichtungen, wenn diese zu Eigenherstellern werden.
Betreiber wie Labore sollten sich schnell einen Überblick über die Produkte verschaffen, die als eigenhergestellte Medizinprodukte oder IVD gelten. Es ist für diese nachzuweisen, dass sie besser sind als entsprechende Produkte mit CE-Zeichen. Dieser Nachweis wird herausfordernd sein und muss kontinuierlich aktualisiert werden. Auch wenn dieser gelingt, sind viele weitere umfangreiche Anforderungen zu erfüllen.
c) Verknüpfung von MDR und IVDR mit der DSGVO
Es gilt, die Anforderungen an den Datenschutz und damit die DSGVO zu beachten. Ein Auszug aus Artikel 57 der IVDR:
„Die Leistungsstudien, einschließlich Leistungsstudien, bei denen Restproben verwendet werden, werden im Einklang mit den geltenden Datenschutzvorschriften durchgeführt.“
IVDR, Artikel 57
d) Ausstehende nationale Regelungen
Die EU-Mitgliedsstaaten stehen vor der Aufgabe, die „Regulierungslücken“ zu schließen bzw. jene Freiheitsgrade zu nutzen, die die EU-Verordnungen bieten. So bedarf es spezifischer Vorgaben für die Wiederaufbereitung von Einmalprodukten.
Beachten Sie, dass der Gesetzgeber aufgrund der Umstellung auf die MDR und IVDR auch die Medizinprodukte-Betreiberverordnung ändern musste. Hier erfahren Sie mehr zu diesen Änderungen.
e) Weitere Unterstützung
Das Johner Institut unterstützt nicht nur Inverkehrbringer, sondern auch Hersteller von Inhouse-Produkten wie medizinische Labore, Krankenhäuser und andere Gesundheitseinrichtung dabei, Eigenherstellungen „zu legalisieren“, d. h. gesetzeskonforme Prozesse zu etablieren und Produktakten zu erstellen.
Gesundheitseinrichtungen mit IVD aus Eigenherstellung empfehlen wir das Seminar IVDR für medizinische Labore.
Änderungshistorie
- 2023-05-31
- Komplette Überarbeitung
Guten Tag,
In welchem Teil der MDR steht, „Die Gesundheitseinrichtungen müssen die Klasse-III-Produkte dokumentieren, die sie erhalten und abgeben“?
Ist nicht in der MDR generell die Rede von „implantierbaren Produkten“?
Vielen Dank für den Beitrag.
mfg
Lieber Herr Grill,
Sie haben so Recht! Ich hatte den Artikel so oft umgebaut gehabt, dass mir das „implantierbar“ verloren ging. Das habe ich Dank Ihrer Hilfe sofort wieder einbauen (implantieren 😉 ) können. Danke!
Viele Grüße, Christian Johner
Guten Morgen,
ich habe eine Frage zum Thema Aufbereitung von Einmalartikeln. In §4 MPDG steht:
„[…] Gesundheitseinrichtungen, die Einmalprodukte nach Artikel 17 Absatz 3 der Verordnung (EU) 2017/745 aufbereiten oder aufbereiten lassen, haben dies vor Aufnahme der Tätigkeit unter Angabe ihrer Anschrift der zuständigen Behörde über das zentrale Erfassungssystem bei dem Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information anzuzeigen, sofern sie nicht nach Artikel 31 der Verordnung (EU) 2017/745 zur Registrierung verpflichtet sind.“
der Punkt Gesundheitseinrichtungen die …… aufbereiten oder aufbereiten lassen, haben dies vor Aufnaheme….anzuzeigen.
Ist es so, das ich auch anzuzeigen habe, wenn ich Einmalartikel aufbereiten lasse?
Vielen Dank im Voraus!
Sehr geehrter Herr Albert,
besten Dank für Ihre Frage. Ich bin noch nicht ganz sicher, ob ich diese ganz verstehe. Die Anzeigepflicht bezieht sich auch auf die Aufbereitung von Einmalartikeln, gleich ob man das als Gesundheitseinrichtung selbst macht oder machen lässt.
Falls ich Sie missverstanden hätte, dann haken Sie gerne nach.
Viele Grüße, Christian Johner