Die In-vitro-Diagnostik-Verordnung der EU (IVDR) betrifft viele medizinische Labore, obwohl diese Verordnung den Begriff „medizinisches Labor“ weder definiert noch verwendet.
Welche Labore sind betroffen? Welche weiteren Gesetze müssen die Labore beachten? Und wie sollen sie all diese Anforderungen erfüllen? Dieser Artikel gibt Antworten.
1. Was sind medizinische Labore?
a) Definitionen
Die relevanten Regularien definieren weder „medizinisches Labor“ noch „diagnostisches Labor“. Die IVDR und die deutschen Gesetze und Verordnungen kennen jedoch den Begriff Gesundheitseinrichtung – verwenden ihn aber leider nicht einheitlich.
Eine Organisation, deren Hauptzweck in der Versorgung oder Behandlung von Patienten oder der Förderung der öffentlichen Gesundheit besteht;
Jede Einrichtung, Stelle oder Institution, einschließlich Rehabilitations- und Pflegeeinrichtungen, in der Medizinprodukte durch medizinisches Personal, Personen der Pflegeberufe oder sonstige dazu befugte Personen berufsmäßig betrieben oder angewendet werden.
Der Begriff „Medizinprodukt“ in der letztgenannten Definition schließt IVD ein.
b) Beispiel
Üblicherweise versteht man unter einem medizinischen, oder besser diagnostischen, Labor ein Laboratorium, welches humandiagnostische In-vitro-Untersuchungen anbietet, unabhängig davon, ob es alleinstehend, Teil eines medizinischen Versorgungszentrums oder eines Krankenhauses/Klinikums/Spitals ist.
c) Abgrenzung
Im Gegensatz zu dem Begriff “medizinisches Labor” vermeidet der Begriff “diagnostisches Labor” die Verwechslungsgefahr mit z. B. Forschungslaboren oder Herzkatheter-Laboren.
2. Fallen medizinische Labore unter die IVDR?
Es gibt mehrere Fälle, bei denen Gesundheitseinrichtungen in den Anwendungsbereich der IVDR fallen.
a) Hersteller und Betreiber von Inhouse-IVD
Gesundheitseinrichtungen, die sogenannte Inhouse-IVD (IH-IVD) herstellen oder betreiben, müssen die Anforderungen der IVDR erfüllen.
Dieser Fachartikel zu Inhouse-IVD verschafft einen schnellen Überblick über die Anforderungen an Labore mit Eigenherstellungen, auch „Lab-Developed Tests“ (LDTs) genannt.
Viele medizinische Labore mit einem breiteren Angebotsspektrum bieten IH-IVD an und fallen daher in den Anwendungsbereich der IVDR.
b) Inverkehrbringer
Organisationen, die IVD (und ggf. andere Produkte) in den Verkehr bringen, zählt die IVDR als Inverkehrbringer und stellt entsprechende Anforderungen. Das gilt, abhängig von der Zusammenstellung, auch für Probenahme-Sets, die Labore ihren Ärzten oder Patienten zur Verfügung stellen.
Beachten Sie die Hinweise zu den Probenahme-Sets.
c) Händler
Diagnostische Labore, die IVD weitergeben (z. B. Probenröhrchen), fallen unter die Definition des Händlers gemäß IVDR mit entsprechenden Händlerpflichten.
d) Betreiber von „CE-IVD“
Nahezu alle medizinischen Labore verwenden kommerzielle IVD, d. h. CE-gekennzeichnete IVD. Auch sie müssen zumindest eine Anforderung der IVDR erfüllen, die verlangt, die UDI dieser Produkte zu erfassen (Artikel 24 (1) c) IVDR).
Die IVDR kennt nur „Gesundheitseinrichtungen“. Damit fallen neben den medizinischen Laboren auch die Arztpraxen bei entsprechenden Tätigkeiten unter den Anwendungsbereich der In-vitro-Diagnostik-Verordnung.
3. Welche Anforderungen müssen Labore erfüllen?
Die in diesem Kapitel aufgeführten Vorgaben stellen keine abschließende Auflistung dar. Abhängig von den Labortätigkeiten sind noch weitere regulatorische Bestimmungen einzuhalten.
a) Anforderungen der IVDR
Labore, welche Inhouse-IVD herstellen und verwenden, müssen die Anforderungen von Artikel 5(5) einhalten. Dazu zählen insbesondere:
- Einhaltung von Anhang I, der u. a. verlangt:
- Dokumentation einer Zweckbestimmung
- Leben eines Risikomanagementsystems
- Durchführung der Leistungsbewertung
- Einhaltung des Softwarelebenszyklus
- Sicherstellung der IT-Security
- Sicheres Produkt-Design
- Bereitstellung von Produktinformationen
- Erweitertes QM-System nach ISO 15189 + ISO 13485, Kapitel 7 (Auszüge) einschließlich der Prozesse zur Überwachung, zum Meldewesen und zur Äquivalenzanalyse
- Regelmäßige Äquivalenzanalyse
- Bei IVD der Klasse D zusätzlich eine Dokumentation nach Anhang II
Um als Eigenhersteller zu gelten, dürfen die medizinischen Labore ihre Produkte weder an andere Organisationen abgeben noch in einem industriellen Maßstab herstellen. Andernfalls zählen die Labore als Inverkehrbringer bzw. es entfällt die Ausnahmeregelung aus Artikel 5(5) und sie unterliegen damit allen in der IVDR genannten Herstellerpflichten.
Für Probenahme-Sets müssen die Labore die Anforderungen einhalten, die in Abschnitt 3 dieses Fachartikels zu Probenahme-Sets aufgelistet sind. Labore, die IVD (oder Medizinprodukte) einkaufen und weitergeben, sollten die in Kapitel 2 dieses weiteren Fachartikels beschriebenen Anforderungen an Händler erfüllen.
Die IVDR verpflichtet in Artikel 24 1 c) alle medizinischen Labore, die CE-gekennzeichnete IVD verwenden, die UDI bei Wareneingang zu dokumentieren und diese Dokumentation zu archivieren.
b) Anforderungen weiterer europäischer Gesetze
Neben der IVDR gibt es weitere europäische Vorschriften. So fallen Labore, die mit Blut, Blutbestandteilen, Geweben oder Zellen arbeiten, unter die Verordnung (EU) 2024/1938 (SoHO-Verordnung).
c) Anforderungen deutscher Gesetze und Rechtsverordnungen
Deutsche Gesetze und Rechtsverordnungen präzisieren die europäischen Vorgaben oder stellen eigenständige Anforderungen. Dazu zählen:
- Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetz (MPDG)
- Medizinprodukte-Betreiberverordnung (MPBetreibV)
- Medizinprodukte-Anwendermelde- und Informationsverordnung (MPAVMIV)
- Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB5)
- Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB7)
- Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG)
- Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG)
- Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV)
- Gefahrstoffverordnung (GefStoffV)
- Biostoffverordnung (BioStoffV)
- Infektionsschutzgesetz (IfSG)
- Bei Gendiagnostik: Gendiagnostikgesetz (GenDG) und Gentechnik-Sicherheitsverordnung (GenTSV)
- Bei Weitergabe von Medizinprodukten oder IVD: Medizinprodukte-Abgabeverordnung (MPAV)
- Bei Gewinnung und Anwendung von Blutprodukten: Transfusionsgesetz (TFG)
d) Anforderungen aus Normen, Leitlinien, Richtlinien etc.
Neben den nationalen Gesetzen und Verordnungen unterliegen die medizinischen Labore vielen anderen Vorschriften, Leitlinien, Richtlinien und Normen. Dazu zählen:
- Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen (Rili-BÄK)
- Technische Regeln für Gefahrstoffe – Laboratorien (TRGS 526)
- Technische Regeln für Biologische Arbeitsstoffe – Schutzmaßnahmen für Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen in Laboratorien (TRBA 100)
- Vorschriften und Informationen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV)
Den Stand der Technik beschreiben unter anderem Normen und EU-Leitlinien:
- MDCG-Leitlinien und MEDDEV der EU
- Das Borderline Manual der EU
- Die Vorgaben des Clinical and Laboratory Standards Institute (CLSI)
- Die Dokumente der Notified Body Operations Group (NBOG)
- ISO 15190 (Sicherheitsanforderungen an medizinische Laboratorien)
- ISO 22367 (Risikomanagement bei medizinischen Laboratorien)
- ISO 62304 (Lebenszyklusprozesse für medizinische Software)
- EN 62353 (Wiederholungsprüfungen und Prüfung nach Instandsetzung von Medizintechnik)
Einige Kammern und Arbeitsgemeinschaften haben ebenfalls Leitlinien und Richtlinien veröffentlicht:
- Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF)
- Richtlinien und Leitlinien der Bundesärztekammer (BÄK)
- Richtlinien der Gendiagnostik-Kommission (GEKO)
Für spezielle medizinische Labore greifen weitere Vorgaben:
- In der Pathologie: ISO 17020
4. Was sollten betroffene Labore tun?
Die medizinischen Labore müssen die Anforderungen erfüllen. Bei Verstößen können Maßnahmen ergriffen werden, die von behördlichen Anordnungen wie dem Stilllegen einer diagnostischen Dienstleistung oder dem Schließen des gesamten Labors bis zu strafrechtlichen Konsequenzen reichen. Aus dem MPDG § 92 ff. ergeben sich Freiheitsstrafen bis zu 10 Jahren für Straftaten und aus der ArbStättV § 9 Geldbußen bis 30.000 €.
Schritt 1: Regulatorische Anforderungen und Übergangsfristen bestimmen
Der erste Schritt sollte darin bestehen, alle relevanten regulatorischen Vorgaben zu bestimmen. Die Liste im vorangehenden Kapitel sollte dazu dienlich sein.
Welche Gesetze, Verordnungen, Normen und Leitlinien die medizinischen Labore erfüllen müssen, hängt vor allem davon ab, ob die Labore IVD selbst herstellen und in der Laborroutine einsetzen.
Viele rechtlichen Vorgaben richten sich allerdings an alle Labore.
An die meisten rechtlichen Vorgaben müssen sich die Labore bereits halten. Inzwischen sind auch nahezu alle Übergangsfristen der IVDR abgelaufen.
Eine Ausnahme bildet Artikel 5(5) d) mit dem Verbot von Inhouse-IVD bei äquivalenten CE-IVD mit gleicher oder besserer Performance. Diese Frist endet erst am 31.12.2030.
Schritt 2: Gap-Analyse durchführen
Da Labore bereits heute unter behördlicher Aufsicht stehen, erfüllen sie die meisten gesetzlichen Anforderungen. Eine Gap-Analyse dient dazu, die Vorgaben zu identifizieren, die noch nicht erfüllt sind, und Maßnahmen festzulegen, um diese Lücken zu schließen.
Schritt 3: Systeme und Prozesse etablieren
Zu diesen Maßnahmen zählt es, Systeme (insbesondere das Qualitätsmanagementsystem) zu erweitern und zu verbessern und dafür die notwendigen Prozesse zu definieren und zu etablieren.
Zu diesen Prozessen zählen beispielsweise:
- Entwicklung von Inhouse-IVD
- Leistungsbewertung von IVD
- Risikomanagement
- Kontinuierliche Überwachung der Prozesse und Produkte
- Korrektur- und Vorbeugungsmaßnahmen (CAPA)
- Meldewesen (Vigilanz)
Schritt 4: Konformität der Produkte herstellen
Gemäß diesen eigenen Vorgaben können die medizinischen Labore ihre Produkte gesetzeskonform entwickeln bzw. die Konformität bereits entwickelter Produkte wiederherstellen und dauerhaft sicherstellen.
Dabei entstehen Dokumente wie eine technische Dokumentation und Aufzeichnungen wie Testberichte.
Digitale Systeme wie die Digital Approval Platform helfen dabei, auf Dokumente zu verzichten und die notwendigen Daten schnell und einfach zu identifizieren, zu erfassen, (automatisiert) zu prüfen und damit Konformität und Sicherheit bei Behördeninspektionen zu erlangen.
Schritt 5: Prozesse und Produkte überwachen
Der letzte Schritt dauert an: Solange IVD in der Patientenversorgung verwendet werden, unterliegen sie den gesetzlichen Vorgaben, insbesondere der IVDR, der MPBetreibV und der MPAMIV. Diese verlangen die
- kontinuierliche Überwachung der Produkte (und Prozesse),
- Erstellung der Überwachungsdokumentation,
- bei Bedarf das Einleiten von Korrektur- und Vorbeugungsmaßnahmen und
- die Meldungen an die Behörden (Vigilanz).
5. Fazit und Zusammenfassung
Die Zeiten, in denen die medizinischen Labore weniger strengen Anforderungen ausgesetzt sind als die Medizinproduktehersteller, sind spätestens seit Inkrafttreten der IVDR vorbei.
Die hohe Bedeutung der medizinischen Labore für eine verlässliche Diagnostik und damit Therapie rechtfertigt eine präzise Regulierung. Aber diese Regulierung ist nicht immer präzise, dafür manchmal überbordend und schlecht aufeinander abgestimmt. Dies macht es insbesondere für kleinere Labore schwer, eigene Labortests zu entwickeln und zu nutzen. Aber auch die großen Labore sind gefordert und sollten sich unverzüglich ans Werk machen, um die Anforderungen sowohl initial als auch fortlaufend zu ermitteln und zu erfüllen.
Zudem sind die hohen Anforderungen, insbesondere im Bereich der seltenen Krankheiten und bei wenig repräsentierten Patientenzielgruppen wie Kindern, für Labore oft kaum zu stemmen. Hier braucht es dringend Ausnahmen, um der aktuell bereits schlechter werdenden Versorgung entgegenzuwirken.
Medizinische Labore können sich auf die Expertinnen und Experten des Johner Instituts verlassen. Sie helfen beispielsweise mit Strategie-Workshops und Beratung. Speziell für Labore, die Inhouse-IVD herstellen und anbieten, bieten wir ein maßgeschneidertes Inhouse-IVD-Konformitätsprogramm an.
Seminare, die sich speziell an IVD-Hersteller und Labore richten, verschaffen schnell Hilfe:
- IVDR für medizinische Labore
- ISO 15189
- Technische Dokumentation nach IVDR für Labore
- Leistungsbewertung von In-vitro-Diagnostika
- Kompaktseminar systematische Literaturrecherche für SOTA/SV
- Risikomanagement nach ISO 22367 (als Inhouse-Seminar/Workshop)
- Regulatorische Anforderungen an Service-Techniker für diagnostische Labore (derzeit nur als Inhouse-Seminar)