Die Türkei ist kein Mitgliedstaat der EU, hat aber ihre regulatorischen Anforderungen an Medizinproduktehersteller den EU-Anforderungen angeglichen.
Dieser Artikel beschreibt,
- welche Vereinfachungen sich dadurch für EU-Hersteller ergeben, die ihre Produkte in der Türkei vermarkten wollen, und
- welche zusätzlichen Anforderungen sie beachten müssen.
1. Die Türkei, ein interessanter Markt
Durch die große Bevölkerungszahl, die noch über der Deutschlands liegt, stellt die Türkei für europäische Medizinproduktehersteller einen relevanten Markt dar. Allerdings sind die Ausgaben für das Gesundheitswesen deutlich niedriger als in Deutschland (s. Tabelle).
Türkei | Deutschland | |
Krankenhausbetten pro 1.000 Einwohner | 2,85 | 8 |
Ärzte pro 1.000 Einwohner | 1,76 | 4,21 |
Bruttosozialprodukt | 690 Mrd. | 3.570 Mrd. |
Einwohner | 85 Mio. | 83 Mio. |
Lebenserwartung m/w | 75/81 | 79/83 |
2. Der Rechtsrahmen
a) Allgemein: Zollunion
Die Türkei ist für die EU faktisch ein Drittstaat. Aber die Zollunion zwischen der Türkei und der EU vereinfacht den Verkehr gewerblicher Waren deutlich. Im Zuge dieser Vereinbarung hat die Türkei ihr Recht an EU-Recht angepasst.
b) Speziell: Medizinprodukte
Das gilt auch für das Medizinprodukterecht. Die Türkei hatte bereits die EU-Medizinprodukte-Richtlinien (MDD, IVDD, AIMDD) harmonisiert. Inzwischen hat die Türkische Medicines and Medical Device Agency die türkischen Verordnungen über Medizinprodukte und IVD mit den EU-Verordnungen (MDR, IVDR) in Einklang gebracht.
Das türkische Gesetz nennt sich ebenfalls Medical Device Regulation. Sie können es hier abrufen (auf Türkisch).
3. Vereinfachungen
a) Harmonisierte Anforderungen und CE-Kennzeichnung
Die Türkei hat ihre gesetzlichen Anforderungen an die europäischen Anforderungen angeglichen. Deshalb erfüllen Produkte, die in Europa ein Konformitätsbewertungsverfahren erfolgreich durchlaufen haben und über eine CE-Kennzeichnung verfügen, auch die türkischen Anforderungen.
Das heißt: Medizinprodukte, die über eine CE-Kennzeichnung verfügen, dürfen auch in der Türkei verkauft werden – mit den unten genannten Einschränkungen. Eine weitere Konformitätsbewertung ist nicht notwendig.
b) Keine zusätzlichen Bevollmächtigten
Die EU-Kommission hat in einer Notice to Stakeholders klargestellt, dass EU-Hersteller keinen Bevollmächtigten in der Türkei benötigen und türkische Hersteller im Umkehrschluss auch keinen Bevollmächtigten in der EU.
Weiterhin gilt, dass Hersteller aus Drittstaaten nur einen Bevollmächtigten (entweder in der Türkei oder in der EU) benennen müssen, wenn sie beide Märkte beliefern möchten.
c) Sonstiges
Die Zollunion beseitigt die zollrechtlichen Einschränkungen. Nach den Übergangsfristen sind auch die Registrierung der Produkte sowie Vigilanzmeldungen in der EUDAMED ausreichend. Die türkische Datenbank müssen Hersteller bei diesen Aspekten nicht mehr nutzen.
4. Zusätzliche Anforderungen
Wie viele EU-Mitgliedsstaaten, so stellt auch die Türkei Anforderungen, die über diejenigen von MDR und IVDR hinausgehen.
a) Registrierung von Produkten
Gemäß Artikel 14 der ersetzten türkischen Regularie dürfen nur Produkte auf dem türkischen Markt in Verkehr gebracht werden, die im nationalen Tracking System (ÜTS) registriert sind. Gemäß Artikel 110 der türkischen MDR gilt dieser Artikel weiterhin bis zur vollen Funktionsfähigkeit der EUDAMED.
Nach Ablauf der Übergangfrist müssen die Hersteller die Produkte in der EUDAMED registrieren.
b) Registrierung von in der Türkei ansässigen Wirtschaftsakteuren
Auch wenn die EUDAMED die vollständige Funktionsfähigkeit erreicht hat, müssen sich in der Türkei ansässige Wirtschaftsakteure weiterhin in der ÜTS registrieren (Artikel 34 der türkischen MDR).
c) Anforderungen an den Vertrieb
Ein wichtiges nationales Gesetz, das Medizinproduktehersteller beachten müssen, ist die Verordnung über den Verkauf von Medizinprodukten, Werbung und Verkaufsförderung. Dieses verlangt, dass der Verkauf von Medizinprodukten in der Türkei nur über vom türkischen Gesundheitsministerium autorisierte Vertriebszentren möglich ist.
Die Anforderungen an diese Vertriebszentren sind klar definiert. Dazu gehören unter anderem die Bereitstellung einer Verantwortlichen Person und vom Gesundheitsministerium entsprechend ausgebildetem Personal.
Das heißt also: Hersteller dürfen Produkte nur über ein autorisiertes Vertriebszentrum in der Türkei in Verkehr bringen. Hier ist häufig die Zusammenarbeit mit einem ortsansässigen, autorisierten Partner sinnvoll.
Ausnahmen von dieser Verpflichtung bilden lediglich im Anhang 3 der Verordnung definierte Low-risk-Produkte wie Zahnpasta, Kondome, Windeln etc. Diese dürfen auch über nicht autorisierte Stellen, z. B. Supermärkte, verkauft werden.
d) Anforderungen an die Werbung
Zudem dürfen gemäß dieser Verordnung Produkte nicht beworben werden, die
- nur über die autorisierten Vertriebszentren verkauft werden dürfen,
- generell verschreibungspflichtige Produkte oder
- die ausschließlich für professionelle Anwender vorgesehen sind.
Diese Verordnung ist nach Inkrafttreten der MDR leider noch nicht aktualisiert worden. Es ist aber davon auszugehen, dass diese Bestimmungen weiterhin gültig bleiben.
e) Anforderungen an Begleitmaterialien
Die türkische MDR verlangt, dass die Begleitinformationen für Medizinprodukte in türkischer Sprache bereitgestellt werden.
Vergleichbare Anforderungen gibt es auch in den Mitgliedsstaaten der EU.
5. Türkische Benannte Stellen
Derzeit gibt es laut NANDO für die MDR / IVDR keine Benannten Stellen in der Türkei. In ihrem Positionspapier drückt die EU aber klar aus, dass sie in der Türkei benannt werden dürfen und mit Benannten Stellen in der EU gleichgestellt sind.
Weitere Benannte Stellen würden helfen, den derzeitigen Engpass bei der Zertifizierung aufzuweiten.
In diesem Podcast berichtet unsere Regulatory Affairs Expertin Katharina Keutgen von den Anforderungen, die EU-Hersteller zusätzlich zu den EU-Verordnungen (MDR, IVDR) erfüllen müssen, um ihre Produkte in der Türkei in den Verkehr zu bringen. Sie klärt auch darüber auf, ob künftige türkische Benannte Stellen erlaubt sind und den Engpass bei den Benannten Stellen in der EU zu lindern.
Diese und weitere Podcast-Episoden finden Sie auch hier.
6. Fazit
Durch die Anpassung des türkischen nationalen Rechts an die EU-MDR und IVDR sowie die europäisch-türkische Zollunion ist das Inverkehrbringen von Medizinprodukten in der Türkei deutlich leichter. Dies ist insbesondere der Fall, weil es keines zusätzlichen Konformitätsbewertungsverfahrens bedarf. Eine CE-Kennzeichnung ist in beiden Fällen ausreichend.
Gleichwohl sind nationale Bestimmungen zu beachten, wie die Registrierungsverpflichtungen im nationalen Product Tracking System ÜTS sowie die Bestimmungen der Verordnung über den Verkauf von medizinischen Produkten, die Werbung und die Verkaufsförderung.
Das Johner Institut unterstützt Medizinproduktehersteller dabei, die regulatorischen Anforderungen der verschiedenen Märkte zu erfüllen und damit ihre Produkte rasch und ohne unnötige Aufwände in diese Märkte zu bringen. Nehmen Sie jederzeit Kontakt mit uns auf, wenn Sie Fragen haben.
Kann ein MDD zertifiziertes Produkt (aber noch nicht nach MDR –> in Arbeit) jetzt noch neu in der Türkei eingeführt werden?
und wenn ja, wann endet die MDD / MDR Übergangsfrist? auch 2024 oder wie lange ist das MDD-Zertifikat anerkannt?
Sehr geehrter Herr Romeo,
auch die Übergangsbestimmungen in der Türkischen MDR sind im Einklang mit denen der EU-MDR. Sie finden Sie im Artikel 110.
Demnach dürfen Sie Ihre Produkte mit gültigen MDD Zertifikaten bis zum Ablauf, längstens aber bis zum 27.05.2024 in der Türkei in Verkehr bringen, sofern Sie die zusätzlichen nationalen Bestimmungen erfüllen. Eine Einschränkung für Produkte, die bisher noch nicht in der Türkei in Verkehr gebracht wurden, ist uns nicht bekannt.
Eine Ausnahme bilden auch hier die Produkte mit Zertifikat nach Anhang IV der Richtlinien. Diese sind seit dem 27.05.2022 ungültig.
Herzliche Grüße,
Katharina Keutgen
Sehr geehrte Frau Keutgen
Wie sieht die Situation heute aus?
Mit der Verordnung 2023/607 wurden die Übergangsbestimmungen für Bestandsprodukte neu geregelt. Die Änderung sieht vor, dass Produkte, die gemäss der Richtlinie 93/42/EWG (MDD) zertifiziert wurden, weiterhin auch über die Geltungsdauer des Zertifikats in Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen werden können (an Bedingungen geknüpft).
Diese Verordnung verlängert somit die Gültigkeit der MDD-Zertifikate bis 2028. Gilt das auch für die Türkei?
Unser MDD Zertifikat läuft im Mai 2024 ab. Können wir danach auch in der Türkei bis 2028 weiterliefern?
Freundliche Grüsse
D. Romeo
Sehr geehrter Herr Romeo,
die TITCK hat mit Gazette 32151 vom 02.04.2023 die Verlängerung der Übergangsfristen gemäß Verordnung (EU) 2023/607 übernommen.
https://www.titck.gov.tr/duyuru/tcokka-tibbi-cihaz-yonetmeliklerine-degisiklik-yapilmasina-dair-yonetmelikler-03042023123427
Herzliche Grüße,
Katharina Keutgen
Unsere Produkte werden unter dem Markenname des Importeurs/Händlers in der Türkei vertrieben. Wir sind als Hersteller aber auf der Verpackung genannt. Wie sieht es hier mit dem Thema Vigilanz aus? Uns wurde gesagt, dass der Hersteller keinerlei Verantwortung hat, sondern diese allein beim Importeur/Händler liegt. Ist das richtig? Im Falle von Vorkommnissen oder auch Reklamationen tritt der Hersteller nicht auf?
Liebe Frau Ritter,
solange Sie der legale Hersteller des Medizinprodukts sind (und als solcher auf der Kennzeichnung angegeben), sind Sie vollumfänglich verantwortlich für die Einhaltung Ihrer Vigilanz-Pflichten gemäß MDR, Kapitel VII, Abschnitt 3. Der Händler hingegen muss die Anforderungen an Artikel 14 der MDR erfüllen und den Hersteller (also Sie) unverzüglich informieren, wenn er Grund zur Annahme hat, dass ein vom ihm auf dem Markt bereitgestelltes Produkt nicht MDR-konform ist oder er Reklamationen aus dem Markt erhält. Zwar sind die Händler zur Kooperation mit dem Hersteller und den Behörden im Fall von Korrekturmaßnahmen verpflichtet, die Verantwortung für die Meldung und Durchführung von Korrekturmaßnahmen trägt jedoch der Hersteller.
Hallo liebes Johner Institut Team,
ich habe zu den folgenden Fragen keine Antwort finden können und würde mich auch Ihre Hilfe freuen.
Wenn die Produkte beriets über ein türkischen Gesundheitsministerium autorisierten Vertriebszentrum im ÜTS registriert sind, müssen die Produkte erneut registriert werden wenn man ein anderes Vertriebszentrum nutzen möchte.
Müssen die Produkte auch registriert werden, wenn wir direkt an professionelle Enduser (Verarbeiten das Medizinprodukt weiter) verkaufen?
Vielen Dank.
Lieber Stefan,
entschuldigen Sie bitte die späte Rückmeldung.
Ohne weitere Recherche konnten wir die Antwort auf die Frage im Rahmen der kostenlosen Beratung nicht zweifelsfrei ermitteln.
Sollten Sie dennoch eine detaillierte Recherche wünschen, melden Sie sich gern direkt bei uns unter info@johner-institut.de.
Herzliche Grüße,
Katharina Keutgen
Sehr geehrte Frau Keutgen,
Unter 3b Ihres Artikels schreiben Sie, dass türkische Hersteller keinen Bevollmächtigten in der EU benötigen. Wenn wir als Händler nun Medizinprodukte aus der Türkei beziehen möchten, entfallen dann auch die Pflichten als Importeur gemäß Art. 13 der MDR?
Liebe Ruth,
vielen Dank für Ihre spannende Frage.
Da die Notwendigkeit eines Importeurs in den relevanten Leitlinien nicht behandelt wird, haben auch wir diese Frage bereits durch einen Anwalt klären lassen.
Die Rückmeldung bestätigte unsere Interpretation: da die Türkei laut Blue Guide in den Bereichen, in denen die Türkei ihre Rechtsvorschriften an die EU angeglichen hat – also auch im Bereich der MDR – EU-Staaten gleichgestellt ist und nicht als Drittstaat behandelt wird, entfällt neben der Rolle des Bevollmächtigten auch die des Importeurs beim Handel mit Medizinprodukten aus der Türkei.
Herzliche Grüße,
Katharina Keutgen