Über die Stilllegung bzw. Außerbetriebnahme von Medizinprodukten und über das Ende der Vermarktung wird wenig geschrieben. Dafür thematisieren hunderte Artikel die Inbetriebnahme und Inverkehrbringung von Medizinprodukten.
Doch Hersteller und Betreiber stehen häufiger vor der Frage, ob und wie sie ihre Medizinprodukte stilllegen, deren Vermarktung beenden und idealerweise die Verantwortung für diese „Altprodukte“ loswerden können.
Dieser Artikel gibt Antworten. Im Fokus stehen weniger die Vernichtung bzw. Entsorgung eines einzelnen Gegenstands, sondern das Beenden der weiteren Vermarktung und der weiteren Nutzung von Medizinprodukten.
1. Der Kontext der Außerbetriebnahme
a) Medizinproduktehersteller
Die MDR und IVDR definieren den Begriff der Außerbetriebnahme nicht, aber den der Inbetriebnahme.
„Inbetriebnahme“ bezeichnet den Zeitpunkt, zu dem ein Produkt, mit Ausnahme von Prüfprodukten, dem Endanwender als ein Erzeugnis zur Verfügung gestellt wird, das erstmals als gebrauchsfertiges Produkt entsprechend seiner Zweckbestimmung auf dem Unionsmarkt verwendet werden kann;
MDR Artikel 2, Absatz 29
Damit liegt es nahe, den Betrieb der Außerbetriebnahme analog zu definieren:
„Außerbetriebnahme“ bezeichnet den Zeitpunkt, zu dem ein Medizinprodukt den Endanwendern entzogen wird, um nicht mehr entsprechend seiner Zweckbestimmung verwendet werden zu können.
Johner Institut in Anlehnung an MDR
Diese Außerbetriebnahme können Hersteller in der Regel über die Betreiber erwirken, in dem sie diese verpflichten,
- die Produkte zurückzuschicken,
- zu vernichten,
- durch andere Produkte zu ersetzen oder
- nicht weiter zu verwenden (und das Produkt entsprechend zu kennzeichnen).
Nicht als Außerbetriebnahme würden zählen:
- Den Verkauf weiterer Produkte „einfach“ einstellen.
- Die Wartung und Belieferung mit Ersatzteilen beenden.
- Keinen Support mehr anbieten.
- Über das Ende des Produktlebenszyklus informieren.
- Medizinprodukt als Nicht-Medizinprodukt deklarieren (mehr dazu weiter unten).
- Unterbrechung oder Beendigung der Lieferung (mehr dazu weiter unten).
Diese Optionen müssen nicht alternativ, sondern können teilweise in Kombination angewendet werden. Allerdings sind die Hersteller nicht frei, aus diesem Satz an Optionen zu wählen: Denn sie müssen die regulatorischen Anforderungen erfüllen (siehe unten).
b) Betreiber
Bei Betreibern wie Krankenhäusern und Laboren betrifft die Außerbetriebnahme nicht notwendigerweise alle Produkte eines Typs, sondern auch einzelne Produkte.
Weder die MDR noch das MPDG noch die MPBetreibV definieren den Begriff „Außerbetriebnahme“. Die MPBetreibV verwendet ihn allerdings. Die oben vorgestellte Definition lässt sich auf den Kontext der Betreiber übertragen. Ebenso die Beispiele für die Außerbetriebnahme.
2. Gründe für die Stilllegung bzw. Außerbetriebnahme
a) Medizinproduktehersteller
Es gibt zahlreiche Gründe, aus denen Hersteller die Außerbetriebnahme von Medizinprodukten anordnen wollen oder müssen:
- Die Aufsichtsbehörden haben den Hersteller zur Stilllegung verpflichtet.
- Ein neues Produkt soll das stillzulegende Produkt ersetzen.
- Der Hersteller hat die Zertifizierung seines QM-Systems verloren oder aufgegeben.
- Der OEM hat die Zusammenarbeit mit dem PLM beendet.
- Der Support oder die Wartung des Produkts (durch den Hersteller) rentieren sich nicht mehr.
- Das Produkt ist nicht ausreichend sicher oder entspricht nicht mehr dem Stand der Technik.
Diese und die folgenden Gründe können zum Ende der Vermarktung eines Produkts führen:
- Der Hersteller möchte generell keine Medizinprodukte mehr vermarkten.
- Notwendige Bau- oder Ersatzteile sind nicht mehr lieferbar oder Produktionsmöglichkeiten stehen nicht mehr zur Verfügung.
- Die Vermarktung des Produkts rechnet sich nicht mehr.
- Der Hersteller möchte, dass der Kunde ein neueres Produkt erwirbt.
Sind Ihnen die Anforderungen des Medizinprodukterechts zu hoch geworden? Wollen Sie aufgeben? Geben Sie sich eine letzte Chance. Wir können helfen!
b) Betreiber
Auch bei den Betreibern gibt es Gründe für die Außerbetriebnahme von Medizinprodukten:
- Der Hersteller hat dies angeordnet (aus den o. g. Gründen).
- Ein individuelles Produkt lässt sich nicht mehr (wirtschaftlich) betreiben (auch warten bzw. reparieren).
- Der Betreiber möchte Produkte eines anderen Typs einsetzen z. B. weil sich diese wirtschaftlicher betreiben lassen oder diese einen höheren Nutzen oder eine höhere Sicherheit bieten.
- Die Produkte haben sich nicht als ausreichend gebrauchstauglich erwiesen.
- Die Produktgattung entspricht nicht mehr dem Stand der Technik.
3. Regulatorische Anforderungen an die Stilllegung von Produkten
a) Überblick
Die regulatorischen Anforderungen an die Stilllegung von Produkten sind über viele Gesetze, Richtlinien, Verordnungen usw. verteilt. Die folgende Tabelle verschafft Ihnen einen ersten Überblick:
Anforderung | Nachweis | Kommentar |
Aufbewahrungsfristen für Medizinprodukteakte (z. B. DHF) beachten | MDR, ISO 13485 | |
Aufbewahrungsfrist für Medizinproduktebuch beachten | u. a. §12 MPBetreibV | Betrifft die Betreiber |
Aufbewahrungsfristen für die Dokumentation zu implantierbaren Medizinprodukten beachten | §13, §15 MPBetreibV | Betrifft Betreiber und Anwender |
Aufbewahrungsfrist für möglicherweise fehlerhafte Medizinprodukte beachten | OLG Hamm: Az. 3 U 133/99 v. 23.02.00 | Siehe „Vernichtung von Beweismitteln“ |
Produkte im Markt (weiterhin) nachverfolgen (Post-Market Surveillance) | MDR | |
Probleme durch Produkte melden | MPAIMV | |
Vertrauliche Daten auf Geräten schützen | BDSG u. a. | V. a. bei Software-Produkten relevant |
Sichere Entsorgung sicherstellen, Maßnahmen dazu festlegen | MDR Anhang I, Absatz 14.7 | |
Risiken durch Außerbetriebnahme bewerten und beherrschen | ISO 14971 Kapitel 9 | Siehe unten |
„Widerrufsanzeige Produkt“ beim BfArM einstellen | MPDG | |
Vertragliche Pflichten mit Kunden erfüllen (z. B. Wartung, Support, Ersatzteilbelieferung, Garantie) | BGB | |
Wenn die Stilllegung (auch) der Minimierung von Risiken dienen soll, liegt ein Rückruf im Sinne des MPGs bzw. der MPSV vor. Dies ist meldepflichtig! | MPSV | |
Pflichten bei Unterbrechung oder Beendigung der Versorgung mit bestimmten Medizinprodukten | MDR, Artikel 10ae | Siehe unten, Abschnitt 5 |
b) Vernichtung von Beweismitteln
Vernichten Sie ein möglicherweise fehlerhaftes Medizinprodukt vor Ablauf der einjährigen Aufbewahrungsfrist, so wird zu Ihren Lasten vermutet, dass es fehlerhaft war!
c) Risiken, die durch die Außerbetriebnahme entstehen
Die Hersteller müssen die Risiken, die durch die Außerbetriebnahme entstehen, analysieren und beherrschen, soweit diese in ihrer Verantwortung liegen. Mögliche Risiken, Schäden bzw. Gefährdungen durch die Stilllegung von Produkten sind:
- Fehlendes Ersatzprodukt
Patienten können nicht diagnostiziert, therapiert oder überwacht werden, weil keine adäquaten Produkte (Medizinprodukte, Zubehör) zeitnah zur Verfügung stehen. - Mangelnde Kompatibilität
Ein Ersatzprodukt ist nicht kompatibel mit anderen Produkten und Systemen. Es gibt Probleme mit der Interoperabilität oder Zubehör passt nicht. - Personen- oder Umweltschäden durch falsche Entsorgung
Das Produkt wird nicht vorschriftsgemäß entsorgt: Personen verletzen oder infizieren sich, die Umwelt wird geschädigt. - Fehlerhafte Migration
Bei dem Austausch des Produkts durch ein neues werden Daten, Konfigurationseinstellungen, Berechtigungen, Behandlungsparameter nicht korrekt übernommen oder können nicht korrekt übernommen werden. - Sonstige Nichtkonformität
Wenn Produkte nicht mehr verwendet werden, aber dennoch personenbezogene Daten enthalten, kann das ein Verstoß gegen die Datenschutzvorschriften bedeuten.
d) Medizinprodukte zu Nicht-Medizinprodukte deklarieren
Einen Sonderfall stellt das nachträgliche „Umdeklarieren“ von Medizinprodukten zu Nicht-Medizinprodukten dar. Dies ist bei Produkten denkbar, die grenzwertig unter die Definition des Begriffs Medizinprodukt fallen. Die Hersteller sollten in diesem Fall das Folgende beachten:
- Zweckbestimmung neu formulieren
- Alle Informationen zum Produkt entsprechend anpassen wie Gebrauchsanweisung, Verpackung, Werbematerialien, Webseite
- Kunden informieren
- Sonstige regulatorische Anforderungen (s. o.) beachten
Beachten Sie: Diese Umdeklaration ist für bereits im Markt befindliche Produkte in der Regel nicht möglich!
4. Verfahrensanweisung zur Außerbetriebnahme von Medizinprodukten
Planen Sie die Außerbetriebnahme genauso sorgfältig wie deren Inverkehrbringung. Schreiben Sie sich dazu eine Verfahrensanweisung. Diese sollte folgende Aspekte festlegen:
- Verantwortliche Person, die über die Stilllegung eines Produkts entscheidet
- „Kanäle“, über die folgende Interessensgruppen informiert werden:
- Vertrieb, Marketing
- Lager, Logistik
- Service, Wartungsteams
- Hotline
- Sicherheitsbeauftragte, Risikomanager
- Lieferanten
- Kunden, Anwender
- Behörden
- Rollen oder Personen, die (außer dem Risikomanager) die Risiken analysieren, die durch die Außerbetriebnahme bzw. durch die Weiterverwendung der Produkte entstehen
- Voraussetzungen, um alte Produkte im Markt belassen zu dürfen (z. B. zusätzlicher Service)
- Prüfung bestehender Verpflichtung mit den Kunden und Anwendern (Garantien, versprochene Lebensdauer, Support, Wartung)
- Person, die entscheidet, wie mit den Produkten im Markt verfahren wird und welche der oben genannten Optionen gewählt werden
- Umgang mit Dokumentation (z. B. Art, Dauer und Ort der Archivierung, Vernichtung):
- Entwicklungsdokumente
- Risikomanagementakten, klinische Bewertungen inkl. PMCF-Berichte
- Produktionsaufzeichnungen, Test- und Prüfberichte
- Marketingmaterialien
- Gebrauchsanweisungen und anderes „Labeling“
- Serviceberichte
- Rückmeldungen aus dem Markt
- Archivierung von Produktmustern („Hardware-Museum“, Virtualisierung von Software)
- Anleitung für die Vernichtung, Entsorgung oder Stilllegung von Produkten
- Korrekte Entsorgung oder Rücksendung
- Umgang mit vertraulichen Patientendaten
- Archivierung von Unterlagen und Daten
- Anleitung für den Umstieg auf Nachfolger- oder Ersatzprodukte
- Tipps zur Auswahl von Ersatzprodukten
- Hinweisen zur Migration von Daten (Konfigurationsparameter, Patientendaten, Berechtigungen, Schnittstellen-Parametrisierung)
- Überprüfung und Dokumentation der Migration
5. Unterbrechung oder Beendigung der Lieferung eines Medizinprodukts
a) Änderungsverordnung der MDR/IVDR vom 13. Juni 2024
Wenn Hersteller die Lieferung eines Medizinprodukts beenden oder unterbrechen, kann das unter Umständen zu Versorgungslücken mit erhebliche Risiken für die Patientenversorgung und die öffentliche Gesundheit führen.
Aus diesem Grund wurden die MDR und die IVDR durch die Änderungsverordnung (EU) 2024/1860 des europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juni 2024 durch die beiden Artikel 10ae (MDR) und 10a (IVDR) ergänzt.
b) Um was es geht
Der Kern der Verordnung liegt in der rechtzeitigen Information betroffener Akteure. Ziel ist es, Gesundheitsinstitutionen frühzeitig die Möglichkeit zu geben, Ersatzprodukte zu beschaffen oder Ausnahmen zu beantragen. Behörden sollen Zeit erhalten, Gegenmaßnahmen zu ergreifen und die Patientenversorgung zu sichern.
Die Unterbrechung oder Beendigung der Lieferung können auf verschiedene Ursachen zurückzuführen sein:
- Lieferantenausfälle: Hersteller sind verpflichtet, eine sorgfältige Produktions- und Beschaffungsplanung sicherzustellen.
- Auslaufende MDR-Zertifikate: Zertifikate werden nicht verlängert.
- Produktvorkommnisse: Sicherheitsmaßnahmen oder behördliche Entscheidungen können den Vertrieb stoppen.
- Sonstige Gründe: Hersteller ziehen Produkte aus dem Markt.
- Verstöße gegen Artikel 120 MDR: Verzögerungen bei der MDR-Zertifizierung können Versorgungslücken verursachen.
c) In welchen Fällen eine Meldung erforderlich ist
Der Artikel 10ae (MDR) schreibt folgende Bedingung:
Erwartet der Hersteller eine Unterbrechung oder Beendigung der Lieferung eines Medizinprodukts, bei dem es sich nicht um eine Sonderanfertigung handelt, und ist nach vernünftigem Ermessen vorhersehbar, dass diese Unterbrechung oder Beendigung einen schwerwiegenden Schaden oder die Gefahr eines schwerwiegenden Schadens für die Patienten oder die öffentliche Gesundheit in einem oder mehreren Mitgliedstaaten zur Folge haben kann, so informiert der Hersteller die zuständige Behörde des Mitgliedstaats, in dem er oder sein Bevollmächtigter niedergelassen ist, sowie die Wirtschaftsakteure, Gesundheitseinrichtungen und Angehörigen der Gesundheitsberufe, an die er das Produkt direkt liefert, über die voraussichtliche Unterbrechung oder Beendigung.
MDR Artikel 10ae, Absatz 1
In der Verordnung wird nicht definiert, was ein schwerwiegender Schaden ist und wie Hersteller einschätzen können, in welchem Ausmaß die die öffentliche Gesundheit beeinträchtigt ist. In einem von der Kommission im Oktober 2024 veröffentlichtem Q&A kann ein schwerwiegender Schaden sein, wenn:
- eine schwere Verletzungen oder eine Verschlechterung des Gesundheitszustands vorliegt,
- ein zusätzlicher medizinischer Behandlungsbedarf besteht,
- Einschränkungen des Zugangs zur Behandlung zu erwarten sind oder
- Patienten von der ständigen Verfügbarkeit eines Produkts abhängig sind.
Eine Unterbrechung von mehr als 60 Tagen wird als kritisch eingestuft. Hersteller sind verpflichtet, eine geplante Unterbrechung mindestens sechs Monate im Voraus anzukündigen. Um diese Fristen einzuhalten, benötigen Hersteller eine sorgfältige Produktionsplanung und ein QM-System, das sicherstellt, dass die Frist über die gesamte Lieferkette hinweg eingehalten wird. Wenn die Fristen nicht eingehalten werden können, muss unverzüglich gemeldet werden.
Die Meldepflicht gilt für alle Medizinprodukte (auch solche mit MDD Zertifikat), die eins der oben genannten Kriterien erfüllen. Medizinprodukte, bei denen es sich nicht um eine Sonderanfertigung handelt, sind ausgenommen.
d) In welchen Fällen eine Meldung nicht erforderlich ist
Hersteller müssen eine Unterbrechung oder Beendigung der Lieferung nicht melden, wenn:
- das Produkt nicht mehr hergestellt wird, weil es durch ein Nachfolgeprodukt ersetzt wird.
- der Hersteller genügend Produkte während der Unterbrechung am Lager hat.
- der Hersteller die Bestätigung von den Gesundheitseinrichtungen hat, dass ein geeignetes Alternativprodukt zur Verfügung steht, das nachweislich den erwarteten Bedarf deckt.
e) Wen Hersteller informieren müssen
Die Hersteller informieren:
- die zuständige Behörde des Mitgliedstaats, in dem er oder sein Bevollmächtigter niedergelassen ist, sowie
- die Wirtschaftsakteure, Gesundheitseinrichtungen und Angehörigen der Gesundheitsberufe, an die er das Produkt direkt liefert.
Zu den Wirtschaftsakteuren zählen Importeure (bei Herstellern aus Drittländern) und Händler, die Medizinprodukte vertreiben. Das bedeutet, dass diese Akteure für „kritische“ Produkte auch in ihrem QM-System Verfahren einrichten müssen, um ihren Informationspflichten gegenüber Gesundheitseinrichtungen oder innerhalb der Lieferkette nachzukommen.
Hersteller mit einer Benannten Stelle müssen diese nicht explizit informieren. Es besteht allerdings weiterhin die Informationspflicht gegenüber der Benannten Stelle bei bestimmten Vorkommnissen oder der Einstellung des Produkts.
f) Vorgehen bei Lieferunterbrechung oder -beendigung
Hersteller sollten folgendermaßen vorgehen:
- Bewertung: Prüfung, ob das Produkt unter Artikel 10a (IVDR) respektive 10ae (MDR) fällt.
- Information: Zuständige Behörden, Wirtschaftsakteure, Gesundheitseinrichtungen und Gesundheitsberufe müssen informiert werden.
- Meldung in EUDAMED: Sobald verfügbar, ist die Eintragung in die EU-Datenbank verpflichtend.
- Formulare nutzen: Ein standardisiertes Meldeformular (Manufacturer Information Form) wird von der Kommission noch bereitgestellt.
Unsere Tipps:
- Bewerten Sie bereits bei der Erstellung des Plans für die klinische Bewertung, ob das Produkt ein potenzieller Kandidat für diese Meldepflicht ist.
- Wenn Sie bereits Produkte im Markt haben, prüfen Sie, ob das Produkt die Kriterien erfüllen würde und falls ja, sollten die PMS-Aktivitäten den Austausch mit Händlern und Gesundheitseinrichtungen zur Verfügbarkeit beinhalten.
- Falls notwendig, erweitern Sie bestehende Lieferantenvereinbarungen, um die Fristen einzuhalten.
- Passen Sie die betroffenen Prozesse in Ihrem QM-System an.
- Beziehen Sie die Behörden rechtzeitig ein. Diese haben eventuell Informationen zu Alternativen oder können die Kritikalität einer Lieferunterbrechung oder -beendigung einschätzen.
6. Zusammenfassung
Dem Thema Außerbetriebnahme sowie der Unterbrechung oder Beendigung von Lieferungen wird in den Verordnungen nun mehr Aufmerksamkeit gewidmet.
Diese regulatorischen Anforderungen unterscheiden sich bei Herstellern und Betreibern.
Beide sollten die Außerbetriebnahme von Produkten regeln, am besten in einer Verfahrensanweisung (s.o.). Die Vorteile sind:
- Unnötige Arbeit sparen
Sie sparen sich Arbeit, weil Sie sich nur einmal die Gedanken machen müssen. Sie finden in diesem Artikel Hinweise dazu, welche Optionen Sie bei der Stilllegung haben und welche Aspekte Sie regeln sollten. - Juristischen Ärger vermeiden
Sie vermeiden regulatorischen Ärger. Denn einige juristische Fallstricke drohen. - Professionell handeln und wirken
Sie wirken und sind abgestimmt: Jeder im Unternehmen und außerhalb weiß Bescheid und kann sich darauf einstellen. - Risiken minimieren
Die Außerbetriebnahme – besonders eine nicht geregelte – birgt Risiken für Patienten, Anwender, Dritte und die Umwelt. Diese Risiken müssen Sie minimieren und die Sicherheit aller gewährleisten.
Änderungshistorie
- 2024-11-25: Neuen Abschnitt 5 zur Änderungsverordnung (EU) 2024/1860 eingefügt und betroffene Abschnitte angepasst.
- 2023-08-23: Umfangreiche Änderungen: u. a. Kapitel 1 umgeschrieben. Trennung von Herstellern und Betreibern eingeführt. Reihenfolge der Kapitel vertauscht
- 2017-09-19: Erste Version
Sehr geehrtes Johner Team,
Ihr Artikel für das Stilllegen von Medizinprodukten war sehr interessant und hilfreich.
Auf eine Frage habe ich leider keine Antwort finden können (weder im Gesetz noch im Artikeln dazu).
Darf ein Kunde ein Produkt weiter einsetzten welches vom Annex II Zertifikat (93/42/EEC) entfernt wurde?
Es geht konkret darum, dass wir ein altes Software Medizinprodukt haben, welches wir nicht mehr vertreiben,
aber immer noch von einem unsere Kunden eingesetzt wird.
Wir würden z.B. gerne Aktenprüfungen und Aktualisierungsaufwand der dazugehörigen Dokumente vermeiden, bzw. minimieren.
Viele Grüße,
Johannes Messow
Sehr geehrter Herr Messow,
danke für die Nachfrage! Ob die Kunden das Produkt weiter betreiben können, entscheiden Sie. Zu welcher Entscheidung Sie kommen, hängt vom Ergebnis Ihrer Risikobewertung ab.
Beste Grüße, Christian Johner
Sehr geehrtes Johner Team,
hat ein Hersteller das EOL seines Medizingerät angekündigt und der Kunde betreibt dieses Gerät trotzdem weiter, dann erfolgt dieser Einsatz ausschließlich auf Basis einer Risikoeinschätzung des Kunden und somit auf eigenem Risiko. Etwaige regulatorische Richtlinien für den Betreiber, an welchen er sich zwecks Einschätzung der Situation orientieren kann, existieren nicht. Oder?
Besten Dank für Ihre Antwort, Karl BLAUENSTEINER
Sehr geehrter Herr Blauensteiner,
die Strafen für das Betreiben eines Medizinprodukts ohne gültige Konformitätserklärung regelt das Gesetz. Ich müsste noch nachsehen, ob das in Österreich im MPG oder der Verordnung steht.
Beste Grüße, Christian Johner
Sehr geehrtes Johner Team,
vielen Dank für die stets ausgezeichneten Artikel auf Ihrer Internetseite.
Wie verhält es sich, wenn ein Verbrausprodukt z.B. Klasse 2a eingestellt wird (z.B. das Produkt wird eingestellt und vom Hersteller nicht mehr vertrieben und auch die Zertifizierung durch die benannte Stelle nicht weitergeführt)? Kann der Lagerbestand eines Händlers noch an Anwender verkauft werden?
Reicht es unter Umständen aus, dass der Hersteller eine Risikobewertung erstellt?
Vielen Dank.
Mit freundlichen Grüßen
Arnold Mannheim
Sehr geehrter Herr Mannheim,
das ist eine super Frage! Vielen Dank!
Die Abgabe eines Produkt für den Vertrieb (z.B. an den Händler) entspricht bereits der Bereitstellung. D.h. wenn Sie diese Abgabe vorher gemacht haben, dann wäre das okay. Allerdings erlischt mit der Abkündigung nicht die Pflicht zur Marktüberwachung. Was diesbezüglich getan werden muss, hängt, wie Sie schreibe, wieder vom Ergebnis der Risikobewertung ab.
Beste Grüße, Christian Johner
Woraus leiten Sie eine allgemeine Aufbewahrungsfrist von einem Jahr ab? Aus dem zitierten Urteil habe ich nur herausgelesen, dass der Hersteller seine _selbst gesetzte_ Aufbewahrungspflicht nicht eingehalten hat.
Lieber Herr Müller,
Vielen Dank für die Frage.
Sie haben recht, das verwirrt. Die Zahl war als Beispiel gemeint. Wir hätten besser schreiben sollen „… vor Ablauf der zum Bsp. einjährigen Aufbewahrungsfrist.“ Vielen Dank für Ihr aufmerksames Lesen.
Liebe Grüsse, Mario Klessascheck
Sehr geehrtes Johner-Team,
lese ich in Bezug auf die Aufbewahrungsfrist und dem Urteil richtig heraus, dass es keine fest definierte Mindestzeit gibt und der Hersteller diese im Grunde selber festlegt?
(Auch in den aufgeführten Paragraphen des Urteils konnte ich keine definierte Zeit herauslesen)
Zudem habe ich bei dem folgenden aufgeführten Grund zwei Fragen: (
„Das Produkt ist nicht ausreichend sicher oder entspricht nicht mehr dem Stand der Technik.“)
-Kann ich bei „nicht ausreichend sicher“ überhaupt noch ein normalen Produktauslauf starten, oder handelt es sich da nicht schon um ein Rückruf?
-Bei dem Begriff „Stand der Technik“ ist hier doch sicherlich der allgemeine anerkannte Stand der Technik gemeint, oder?
Und ist dieser Grund optional gesehen, oder muss man wenn der Stand der Technik nicht erfüllt ist und ein Folgeprodukt besteht, eine Stilllegung bzw. Außerbetriebnahme einleiten?
(Textpassage: „Die MDR und IVDR bestehen auf dem Stand der Technik“ ; Quelle: http://www.johner-institut.de/blog/regulatory-affairs/stand-der-technik)
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Kramer
Sehr geehrter Herr Kramer,
vielen Dank für Ihre Fragen und den (indirekten) Hinweis, den Artikel zu aktualisieren!
Sie haben zwei wesentliche Punkte:
Nochmals danke für den Hinweis, ohne den ich nicht entdeckt hätte, dass dieser Artikel etwas in die Jahre gekommen ist!
Viele Grüße
Christian Johner
Sehr geehrter Herr Johner,
in dem Artikel der Aufbewahrungsfristen konnte ich nur Fristen bezüglich der Unterlagen finden, aber nichts zu den Aufbewahrungsfristen der Medizinprodukte, wie es im Urteil erwähnt wurde.
Wo ist dies gesetzlich aufgeführt?
Bezüglich des „Stand der Technik“ empfinde ich es als problematisch, da mir die klare definierte Grenze zwischen dem veraltetet Stand und den Stand der Technik fehlt.
Laut dem Fachartikel (https://www.johner-institut.de/blog/regulatory-affairs/stand-der-technik/) kann ich es zumindest teilweise eingrenzen, jedoch befürchte ich, dass der Begriff noch weiterhin ein Diskussionsthema im Audit und bei Behörden bleiben wird.
Viele Grüße
Thomas Kramer
Lieber Herr Kramer,
ich finde die Diskussion sehr spannend, und vielleicht gestatten Sie mir noch ein paar Gedanken zum Thema Stand der Technik.
Sicherheit von Produkten
Die Sicherheitsstandards werden in der Regel durch Normen definiert. Wenn ein solcher Standard aktualisiert wird, passt sich dadurch automatisch der aktuelle Stand der Technik an. Daher ist es notwendig, die Normen, die als Grundlage für die Konformität dienen, regelmäßig zu überwachen. Dies wäre eine zeitliche Begrenzung für den gültigen Stand der Technik.
Klinische Leistung
In diesem Sektor existieren nur begrenzt Normen. Als Hersteller bestimmen Sie den Zeitpunkt für Maßnahmen eigenständig. Dies könnte durch das Festlegen von statistischen Schwellenwerten im PMS geschehen. Diese Schwellenwerte wären spezifisch für Sie als Hersteller und würden Ihre Festlegung vom Stand der Technik repräsentieren.
Sich ändernde Umgebungsbedingungen
Die technischen Umgebungsbedingungen ändern sich sehr stark. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Entwicklung im Bereich der Funktechnologie. In den vergangenen Jahren hat die Nutzung von Funkfrequenzen auch in Krankenhäusern erheblich zugenommen. Zudem kommen neue Technologien wie 5G oder RFID dazu, für die es bislang noch keine einschlägigen Normen gibt. Solche veränderten Bedingungen müssen Sie in die Risikoanalyse einbeziehen und bewerten, ob das eigene Produkt kompatibel ist. Die FDA fordert im Bereich EMV beispielsweise zusätzliche Prüfungen, die nicht in der Norm IEC 60601-1-2 enthalten sind. Diese Überlegungen setzen eine technologische Grenze für den aktuellen Stand der Technik fest.
Weitere Punkte könnten sein Wartbarkeit oder die Abkündigung von Bauteilen.
Diese Punkte könnten Ihnen bei der Festlegung Ihrer Vorgehensweisen und auch in Ihrer Diskussion mit dem Auditor helfen.
Herzliche Grüsse, Mario Klessascheck
Sehr geehrtes Johner-Team,
vielen Dank für diesen informativen Artikel zu einem Thema, dass tatsächlich regulatorisch wenig Betrachtung findet und damit auch bei uns im Unternehmen immer wieder Fragen aufwirft. Ich hätte da gleich noch zwei davon:
1. Wann genau ändert man den Status eines Medizinproduktes in den entsprechenden Datenbanken (DMIDS, EUDAMED, FDA GUDID etc.) – erst bei Außerbetriebnahme oder bereits zum Zeitpunkt, wo man als Hersteller die Vermarktung einstellt? Bei letzterem bleibt man ja auch weiterhin für PMS und Vigilanz in der Verantwortung. Sie nennen im Abschnitt 3a die DMIDS-Widerrufsanzeige als Teil der Stilllegung, und eben nicht Vermarktungsende. Gilt das für alle relevanten Datenbanken?
2. Unter 1a geben Sie Beispiele dafür, was nicht als Außerbetriebnahme zählt. Wie verhält es sich nun aber, wenn ich als Hersteller z. B. Wartung und Support für ein Medizinprodukt einstelle (inkl. Information an Händler und Kunden) und damit meinen regulatorischen Pflichten eigentlich gar nicht mehr nachkomme? Rutsche ich dann nicht in den Bereich der Inkonformität (vielleicht gerade auch bei Softwareprodukten) und muss das Produkt am Ende zurückrufen? Darf ich also Aktivitäten wie Wartung und Support überhaupt einstellen, wenn ich das Medizinprodukt zwar nicht weiter vermarkten aber auch nicht aus dem Markt entfernen möchte?
Vielen Dank und schöne Grüße
Sabine Stridde
Liebe Frau Stridde,
vielen Dank für Ihre zwei wichtigen Fragen.
Zu 1) Die Widerrufsanzeige/Statusänderung führen Sie durch, sobald Sie als Hersteller die Entscheidung getroffen haben, das Produkt nicht mehr länger in den Verkehr zu bringen.
Zu 2) Wenn Sie Wartung und Support einstellen, könnten Sie die Vigilanz weiter betreiben. Sie können diese Aktivitäten allerdings auch auszulagern. Prüfen Sie vorher auch, ob bestehende Verpflichtungen mit den Kunden und Anwendern (Garantien, versprochene Lebensdauer, Support, Wartung) bestehen. Zudem gelten außerhalb der MDR weitere Gesetze wie die Produkthaftpflicht im BGB.
Liebe Grüsse, Mario Klessascheck
Sehr geehrtes Johner Team,
wie verhält es sich wenn ich 5 Produkte über die MDR ziehen möchte, mit einer Festlegung zusammen mit der benannten Stelle wann welche TD´s gezogen werden, und es sich plötzlich herausstellt, das eines der Produkte plötzlich wirtschaftlich nicht mehr relevant wird, da in der Zwischenzeit andere Technologien zum Einsatz kommen. Ist dieses Produkt während dieses Prozesses noch stilllegbar und die Produktprüfung der benannten Stelle zu entziehen, oder drohen Konsequenzen? Kann und muss ich jetzt wissen bei solchen Schwellenprodukten ob ich es mitnehme oder hinter mich lassen muss.
Vielen Dank und Grüße
Maria Schäfer
Liebe Frau Schäfer,
dafür gibt es meines Wissens keine offizielle Regelung. Das wird von den benannten Stellen unterschiedlich behandelt. Am einfachsten wäre es daher, wenn Sie ihre benannte Stelle direkt fragen.
Liebe Grüsse, Mario Klessascheck
Sehr geehrtes Team von Johner,
nachdem wir unsere Standalone-Software gemäß IVDD ohne Beteiligung einer Benannten Stelle als Medizinprodukt zertifiziert haben, haben wir nun einen Antrag auf IVDR-Zertifizierung bei einer Benannten Stelle gestellt. Diese hat uns mitgeteilt, dass unsere Software gemäß ihrer Zweckbestimmung kein Medizinprodukt darstellt.
In Anbetracht dieser Feststellung stellen wir uns die Frage, ob es nun möglich ist, die Konformitätserklärung „einfach“ stillzulegen und die Software weiterhin als Nicht-Medizinprodukt zu betreiben. Der Eintrag in Eudamed und MPG müssten demnach korrigiert werden. Besten dank vorab! Liebe Grüße
Sehr geehrte/r Frau/Herr Schwarz,
danke für Ihre wichtige Frage.
Wenn Ihr Produkt kein Medizinprodukt ist, dann wäre es gut, wenn sie nicht nur die Eintragungen in den Datenbanken entsprechend ändern, sondern auch ihre Kunden darüber informieren. Wahrscheinlich müssen sie auch Gebrauchsanweisungen und das Labeling ändern.
Die Konformitätserklärung müssen sie nicht stilllegen, denn diese Aussage können sie nicht einfach zurücknehmen (für die bisherigen Produkte). Diese Produkte waren ja nach Ihrer Aussage konform mit der IVDD. D.h. die Aussage war nicht falsch.
Da diese Konformitätserklärung den Kunden oft nicht vorliegt, hätte eine Änderung auch kaum sichtbare Wirkung. Achten Sie aber darauf, dass Ihre Konformitätserklärung einen klaren Scope hat, d.h. es erkennbar ist, für welchen konkreten Produkte / Installationen sie gilt.
Beste Grüße, Christian Johner
Liebes Johner-Team,
vielen Dank für diesen sehr interessanten Artikel!
Sie beschreiben, dass sich Artikel 10 ae nur auf Sonderanfertigungen bezieht, aber dann beschreibt Artikel 10a (Artikel 2 EU 2024/1860): „Erwartet ein Hersteller eine Unterbrechung oder Beendigung der Lieferung eines Produkts und ist nach vernünftigem Ermessen vorhersehbar, dass diese Unterbrechung oder Beendigung einen schwerwiegenden Schaden oder
die Gefahr eines schwerwiegenden Schadens…….“. Ich könnte dann verstehen, ob dies auch andere Produkte betrifft, oder gilt es immer noch, dass es nur für Produkte der Sonderanfertigung gilt?
Vielen Dank!
Liebe Frau Gomez,
Die Sonderanfertigungen sind davon ausdrücklich ausgenommen, weil es sich hierbei per se um ein knappes Gut handelt. Die Verordnung schreibt: „Erwartet der Hersteller eine Unterbrechung oder Beendigung der Lieferung eines Medizinprodukts, bei dem es sich NICHT um eine Sonderanfertigung handelt …“. Ich habe den Text nochmals geprüft und konnte keinen Fehler feststellen.
Mit weihnachtlichen Grüssen, Mario Klessascheck