Der russische Markt bietet mit 150 Millionen Konsumenten große Chancen für Medizinproduktehersteller, die ihre Produkte nach Russland exportieren wollen. Damit dies aber überhaupt möglich ist, müssen Medizinprodukte in Russland zugelassen werden.
Der Eintritt in den russischen Markt muss gut vorbereitet werden, da zusätzlich zu sprachlichen Barrieren ein relativ komplexes und intransparentes Zulassungsverfahren für Medizinprodukte zu durchlaufen ist. Dass sich das Zulassungsverfahren aufgrund des Zusammenschlusses mehrerer Länder zur Eurasischen Wirtschaftsunion in absehbarer Zeit ändert, macht die Lage nicht einfacher.
Dieser Artikel soll Herstellern die Anforderungen der russischen Behörde, Roszdravnadzor, die regulatorischen Hürden und die bevorstehenden Änderungen (soweit absehbar) für die Zulassung in Russland näher bringen.
Ablauf einer Registrierung in Russland
Zuständig für die Zulassung in Russland ist Roszdravnadzor, die gemäss Resolution 1416 als Teil der russischen Gesundheitsbehörde die Medizinprodukte überwacht und Guidance-Dokumente erstellt. Die Anforderungen an Hersteller sind relativ hoch. Es müssen Dokumente eingereicht werden, um zu zeigen, dass den rechtlichen Anforderungen in Sachen Sicherheit, Performance und Vigilance entsprochen wird. In den meisten Fällen wird auch verlangt, dass Geräte im Land getestet werden. Zudem werden viele europäische Zertifikate nicht anerkannt.
Autorisierte Vertretung in Russland
Roszdravnadzor verlangt eine autorisierte Vertretung im Land, die die direkte Kommunikation mit der Behörde übernimmt und den Hersteller in regulatorischen Belangen vertritt. Zudem muss ein Grossteil der einzureichenden Dokumente übersetzt werden, allen voran die Technische Dokumentation.
Die Aufgaben des Partners vor Ort beinhalten die gesamte Kommunikation zwischen dem Hersteller und der Behörde und die Abwicklung der Registrierung. Die Zusammenarbeit mit dem Partner vor Ort ist nach der Zulassung nicht abgeschlossen, da dieser auch Änderungen am Produkt der Behörde meldet und zudem auf dem Labelling genannt wird. Zu den Aufgaben des Vertreters im Land gehören auch die Marktüberwachung und Vigilanz und die daraus resultierende Kommunikation mit der Behörde.
Die Wahl des Vertreters in Russland ist ein wichtiger und strategischer Entscheid, da nicht nur der Verlauf und Erfolg der Registrierung von ihm abhängt, die Zulassung ist durch die Nennung des Vertreters auf dem Label mit diesem verknüpft. Will man den Vertreter im Land nach der Registrierung ändern, ist dies nicht ohne größeren administrativen Aufwand möglich. Ist der Distributor gleichzeitig der Vertreter, ist in den meisten Fällen sogar eine neue Registrierung zu starten. Deshalb wird häufig mit einem Vertreter vor Ort gearbeitet, der nicht gleichzeitig der Distributor ist. Hier gilt es im Einzelfall, die Verträge und Optionen entsprechend zu prüfen.
Klassifizierung der Medizinprodukte in Russland
Ein wichtiger Schritt, der das Vorgehen und die benötigten Dokumente bestimmt, ist die Ermittlung der Klassifizierung nach russischen Vorgaben. Medizinprodukte werden in vier Risikoklassen unterteilt. Der Partner vor Ort ist bei der Klassifizierung behilflich und reicht erste Dokumente ein.
Roszdravnadzor begutachtet die Dokumente und entscheidet zusammen mit einem Expertenzentrum, welche klinischen Daten für das spezifische Gerät benötigt werden. Alle Geräte werden in Russland getestet, unabhängig davon, ob ein Produkt bereits CE-gekennzeichnet oder 510(k)-genehmigt ist.
Je höher die Risikoklasse, desto umfänglicher die Tests und die zusätzlichen klinischen Daten, die in Russland erhoben werden müssen. Zudem kann die Behörde zu jeder Zeit zusätzliche Dokumente einfordern oder Rückfragen zu den eingereichten Informationen stellen. Dies ist einer der Hauptgründe, warum sich Registrierungen in Russland zeitlich länger hinziehen können als geplant.
Zulassungsdossier
Das Zulassungsdossier beinhaltet unter anderem
- die Technische Dokumentation,
- verschiedene Test Reports,
- das ISO 13485– und CE- Zertifikat und
- vorhandene klinische Daten.
Zertifikate müssen von mehreren Stellen beglaubigt werden (Apostille). Das Dossier wird von der Behörde auf die Vollständigkeit geprüft und dann von einem Testzentrum betreffend der zusätzlich zu erhebenden klinischen Daten beurteilt. Nachdem die angeordneten zusätzlichen Tests durchgeführt wurden und die Resultate gemäss der Vorlage, wie in Order 2n festgehalten, erneut der Behörde zu Prüfung vorgelegt wurden, wird das Registrierungszertifikat ausgestellt und das Produkt in der offiziellen Datenbank gelistet.
Das Registrierungszertifikat listet nicht nur den Hersteller, sondern auch alle zusätzlichen Herstellungsstätten von OEMs. Wichtig für den reibungslosen Import der Produkte ist eine konsequent gleiche Nennung von Hersteller und Produktname auf dem Labelling und dem Zertifikat.
Beantragung
Danach kann die russische Konformitätserklärung beantragt werden. Ausgestellte Registrierungszertifikate werden ohne Ablaufdatum ausgestellt, sind aber aufgrund der Änderungen des Zulassungssystems in der gesamten Eurasischen Wirtschaftsunion nur noch bis Ende 2021 gültig.
Zulassung von Software
Gemäss Ziffer 2 von Decree 1416 gehört entsprechende Software in die Definition von Medizinprodukten und muss in Russland registriert werden. In den meisten Fällen wird die zu einem Medizinprodukt dazugehörende Software mit dem Medizinprodukt registriert und braucht kein eigenes Zertifikat.
Roszdravnadzor empfiehlt beim Antrag auf die Registrierung für die Software Name und Version anzugeben. In der Technischen Dokumentation sollten, falls es mehrere Versionen gibt, Modifikationen mit Name, Beschreibung und Release Date aufgeführt sein, um möglichst detaillierte Informationen zu geben. Unsere Erfahrung zeigt, dass detaillierte Informationen in diesem Fall (ausnahmsweise) dazu führen, dass die Behörden weniger Rückfragen stellen und dadurch das Zulassungsverfahren nicht unnötig verlängert wird.
Wird die Software nach der Zulassung eines Produkts aktualisiert, muss dies der Behörde gemeldet werden. Diese entscheidet im Einzelfall, ob die neue Version in die Technische Dokumentation aufgenommen werden muss, oder ob eine Revision unnötig ist. Bei kleineren Bugfixes oder Änderungen muss in der Regel nicht mit weiteren regulatorischen Aufwänden gerechnet werden.
Harmonisiertes Zulassungsverfahren in der gesamten EEU
Eurasische Wirtschaftsunion
2014 haben Russland, Belarus und Kasachstan die Eurasische Wirtschaftsunion mit dem Ziel gegründet, in den post-sowjetischen Staaten, ähnlich der EU, einen vereinigten Wirtschaftsraum zu kreieren. Armenien und Kirgistan sind zu einem späteren Zeitpunkt beigetreten und vervollständigen den Zusammenschluss zu einem Binnenmarkt mit Zollunion.
Das Hauptziel ist, durch eine engere Zusammenarbeit den Austausch von Waren, Dienstleistungen und Arbeit zu erleichtern. Die Wirtschaftsunion soll als supranationale Regulierungsbehörde den gemeinsamen Rechtsrahmen für die Regulierung von Medizinprodukten umsetzen. Ein harmonisiertes Zulassungsverfahren für Medizinprodukte wurde entwickelt und ist theoretisch seit dem 1. Januar 2016 in Kraft.
Zulassung in der EEU
Die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten sind weiterhin zuständig für die Zulassung von Medizinprodukten. Das Land, in dem Antrag auf Zulassung eingereicht wird, ist der Bezugsstaat, die Zulassung ist danach aber in der gesamten Zollunion gültig. Trotz angehender Harmonisierung der Zulassungsvorgaben unterscheiden sich die Zulassungssysteme betreffend behördlicher Ressourcen in den Ländern, und diese unterscheiden sich in der Praxis aktuell durch unterschiedlich ausgereifte Zulassungssysteme.
Übergangsfristen
Wichtig für Hersteller ist die Information, dass Medizinprodukte, die vor 2016 registriert wurden, innerhalb von 5 Jahren den neuen Anforderungen entsprechen müssen. Ausgestellte Lizenzen für Medizinprodukte bleiben bis zum Ende der Übergangsfrist Ende 2021 gültig.
Es ist immer noch möglich, nach dem alten System in den einzelnen Ländern Produkte zu registrieren, diese Zulassungen sind aber nur bis zum Ende der offiziellen Übergangsfrist am 31.12.2021 gültig. Danach müssen alle Medizinprodukte gemäss neuem Verfahren und neuen Anforderungen registriert werden. Zudem wurde die Frist für die Erneuerung aller Lizenzen, die vor 2013 ausgestellt wurden, verlängert und mit dem Ende der Übergangsfrist für das neue System zusammengelegt.
Änderungen und Kosten
Die neue Regulierung enthält Definitionen und klärt viele der vorher nicht rechtlich festgehaltenen Aspekte des Registrierungsprozesses (z. B. Zubehör, Consumables, Melden von Änderungen). Zusätzlich zu umfangreichen Änderungen werden durch die neue Regulierung bisher nicht festgehaltene Regeln klar definiert. Neu ist zum Beispiel die durch Resolution 160 eingeführte Möglichkeit für Vorkonsultationen. Diese kann in Anspruch genommen werden, um Fragen der Klassifizierung mit Experten der Behörde vor der Einreichung des Antrags auf Registrierung zu besprechen. Die bisherige Intransparenz im Zusammenhang mit Registrierungskosten seitens der Behörde wurde mit der Veröffentlichung der Kosten im Februar 2017 aufgehoben: je nach Risikoklasse liegen die Gesamtkosten für die Arbeit der Behörden zwischen 2000.- und 4000.- USD.
Alltagspraxis
In der täglichen Praxis wird das neue Zulassungssystem noch nicht umgesetzt, eine Vielzahl wichtiger Guidance-Dokumente wurden erst nach dem offiziellen Datum des Inkrafttretens angenommen und veröffentlicht. So ist zum Beispiel das erwartete Dokument betreffend der Anforderungen an das Qualitätsmanagement noch nicht angenommen worden.
Eine Liste mit anwendbaren Standards für Medizinprodukte wurde Ende Mai 2017 mit der Bitte um Kommentare veröffentlicht und der geplante Informationstag, den Roszdravnadzor im Juni 2017 angesetzt hat, zeigt, dass noch viel Klärungsbedarf besteht.
Labeling
Das neue Zulassungsverfahren führt dazu, dass in der gesamten Wirtschaftsunion zugelassene Medizinprodukte mit dem EACmed-Zeichen gekennzeichnet werden müssen. Zudem muss das Label in mindestens eine Sprache der Wirtschaftsunion übersetzt werden. Die Behörde prüft die Übersetzung innerhalb von 30 Tagen, da diese Informationen auch auf der Website der Behörde angezeigt werden.
Das EACmed-Zeichen ist vergleichbar mit dem europäischen CE-Zeichen. Mit EACmed gekennzeichnete Produkte sind konform mit allen anwendbaren Technischen Regulierungen der Wirtschaftsunion (TR CU). Die Kennzeichnung wird obligatorisch sein für Produkte, die durch die Standards erfasst werden.
In den meisten Fällen sind die TR CU deckungsgleich mit den entsprechenden europäischen Normen. Das bedeutet voraussichtlich, dass zusätzlich zu den bisherigen GOST-Standards weitere Standards eingehalten werden müssen, bis die TR CU der Wirtschaftsunion die GOST-Standards ablösen.
Hallo Johner-Institut-Team,
bzgl. des Punktes „In den meisten Fällen wird auch verlangt, dass Geräte im Land getestet werden. Zudem werden viele europäische Zertifikate nicht anerkannt.“:
Können ein paar Sätze dazu gesagt werden, wie es sich dazu im Bereich Usability verhält? Kann erwartet werden, dass für den EEU eigene, aus der EEU stammende Test-Participants als Grundvorraussetzung bestehen werden, ähnlich wie die FDA es mit US Bügern für Usability für US-Produkte macht?
Mit freundlichen Grüßen
Michael Fiege
Guten Tag Herr Fiege
Das Ziel der Harmonisierung des Zulassungssystem in der eurasischen Union ist, dass solche grundlegenden Anforderungen definiert und eben harmonisiert werden. Leider sind einige Ausführungs- und Umsetzungsdokumente noch nicht veröffentlicht (oder übersetzt) worden. Es besteht aber die Hoffnung, dass es ein Dokument zu den Anforderungen betreffend Test-Participants für Usability Tests geben wird, das die möglicherweise sehr spezifischen Anforderungen für die Union regelt.
Freundliche Grüsse
Jessica Wyler
Hallo Johner-Team,
habt ihr die Informationen der GTAI zu den neuen (?) Übergangsfristen schon beachtet? Hier scheinen sich die Fristen von 2021 auf Ende 2025 verschoben zu haben?
Beste Grüße
Jan H.
Sehr geehrter Herr H.,
unser Regulatory Experte, Luca Salvatore, hat mich zu Ihrer Frage Folgendes wissen lassen:
Beste Grüße, Christian Johner
Hallo Johner-Team,
ich beziehe mich auf die vorherige Antwort von euch.
Wie kann es sein, dass es zu dieser Entscheidung bisher noch kein öffentliches Statement gab?
Am 5. September 2019 veröffentlichte die Eurasische Wirtschaftskommission den Beschluss Nr. 142, wo über eine Verlängerung der Frist geschrieben worden ist.
Das ist aber nur eine Draft Version die von allen Mitgliedsstaaten der Eurasischen Wirtschaftsunion noch abgestimmt werden muss.
https://docs.eaeunion.org/docs/ru-ru/01422901/clco_05092019_142
Deshalb denke ich nicht, dass die Entscheidung schon rechtskräftig ist.
Grüße
Ali S.