Das Recycling und die Entsorgung von Medizinprodukten überlassen viele Hersteller den Betreibern, z.B. den Krankenhäusern. Dabei bietet diese letzte Phase des Produktlebenszyklus den Herstellern neue Möglichkeiten: von der Differenzierung über Kosteneinsparungen bis hin zu neuen Geschäftsmodellen.
An neuen Konzepten sind auch die Krankenhäuser interessiert, die durch die anhaltende Pandemie ökonomisch unter Druck stehen und zudem wachsende Müllmengen zu entsorgen haben.
Ein Beitrag von und mit Professor Werner Lorke
Die regulatorischen Anforderungen erlauben es Herstellern, mit innovativen Recycling-Konzepten nicht nur Umwelt- und Arbeitsschutzziele zu erreichen. Ihnen bieten sich auch völlig neue Chancen und Geschäftsmodelle.
Diese und weitere Podcast-Episoden finden Sie auch hier.
1. Recycling und Entsorgung: Der Zielkonflikt bei Medizinprodukten
Hochwertige Materialien …
Hersteller verwenden bei Medizinprodukten zunehmend hochwertige Materialien wie Metalle und Kunststoffe sowie Kombinationen daraus, z.B. bei elektronischen Komponenten. Diese hochwertigen Materialien machen Medizinprodukte besonders sicher und leistungsfähig. Beispielsweise erweisen sich diese Produkte als sehr
- stabil gegenüber mechanischen und thermischen Belastungen,
- leicht zu reinigen, zu desinfizieren und zu sterilisieren,
- biokompatibel und
- reproduzierbar zu fertigen.
… sollten wiederverwendet werden …
Gerade weil diese Materialien so hochwertig sind, möchte man sie nicht auf einer Deponie entsorgen oder verbrennen, sondern der Wiederverwendung, dem Recycling oder der Wiederaufbereitung (Refurbishment) zuführen. Diese Wiederverwendung und die Wiederaufbereitung helfen,
- die natürlichen Ressourcen zu schonen und
- die Umweltbelastung durch den Abfall zu minimieren.
… aber keine Risiken verursachen
Bei Medizinprodukten entsteht jedoch ein Zielkonflikt:
- Auf der einen Seite soll die Umwelt geschont werden.
- Auf der anderen Seite sollen die Menschen vor infektiösem Material und scharfen Gegenständen geschützt werden.
Das Primat der Hygiene dient dem Schutz von Patienten, Klinikpersonal als auch allen anderen Personen, die mit dem zu entsorgenden Material in Kontakt kommen. Folglich ist der Umgang mit gebrauchten, infektiös bzw. nicht infektiös kontaminierten Medizinprodukten in der Klinik durch Vorschriften geregelt, bei denen Gesundheits- und Arbeitsschutz Vorrang haben.
Dieser Artikel stellt Ihnen in den folgenden Abschnitten alle regulatorischen Anforderungen sowohl an den Umwelt- als auch an den Arbeitsschutz vor.
Scharfe und spitze Teile (z.B. Injektionskanülen, Skalpelle, scharfe Löffel) gelten als gefährlicher Abfall und müssen deshalb in speziellen, bauartgeprüften Behältern getrennt vom sonstigen Abfall gesammelt werden. Diese dürfen, sofern die Behälter sicher verschlossen bleiben, dann dem als ungefährlich klassierten Klinikabfall beigemischt werden, der ohne weitere Sondermaßnahmen in Müllheizkraftwerken entsorgt werden darf.
Dieser Zielkonflikt zeigt sich auch bei den regulatorischen Vorgaben: Das Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) möchte das Recycling befördern. Die Gewerbeabfallverordnung (GewAbfV) soll den Gesundheits- und Arbeitsschutz gewährleisten.
2. Optionen beim Umgang mit Produkten
a) Verbrennung und Deponierung
Die einfachste Variante besteht darin, die Produkte zu verbrennen. Waste to energy lautet die euphemistische Umschreibung. Sie hat den Vorteil, dass alle potenziell gefährlichen Keime und sonstigen biogenen Verunreinigungen, die Abfällen aus Gesundheitsbetrieben anhaften, unschädlich gemacht werden.
Da großtechnische thermische Behandlungsanlagen vor allem in den neuen östlichen EU-Staaten noch nicht die Regel sind, andererseits das Deponierungsverbot in der Europäischen Union umfassend gilt, ist die vorschriftsmäßige Entsorgung von Klinikabfällen in diesen Ländern oft mit längeren Transportwegen verbunden.
b) Wiederverwendung von Materialien
Die werterhaltende Abtrennung gebrauchter Medizinprodukte für das stoffliche Recycling würde dazu beitragen, diesen Abfalltourismus zu reduzieren. Dies setzt jedoch voraus, dass die Materialien getrennt und wiederverwendet werden können. Beispielsweise müssen Stähle aus chirurgischen Instrumenten und Explantaten eingeschmolzen werden.
Mehr zu den Möglichkeiten und Limitierungen der Aufbereitung lesen Sie im Kapitel „Recycling, Entsorgung und Wiederaufbereitung“.
c) Wiederaufbereitung, Refurbishment
Die dritte Variante besteht darin, Produkte wiederaufzubereiten. Das ist jedoch nur bei wenigen Produkten möglich, da diese Aufbereitung sicherstellen muss, „dass von dem aufbereiteten Medizinprodukt bei der folgenden Anwendung keine Gefahr von Gesundheitsschäden, insbesondere im Sinne von – Infektionen, – pyrogenbedingten Reaktionen, – allergischen Reaktionen, – toxischen Reaktionen – oder aufgrund veränderter technisch-funktioneller Eigenschaften ausgeht“ (RKI 2012).
Damit ist diese Option nur für relativ hochpreisige Produkte wie Endoskope und Katheter wirtschaftlich. Die Wiederverwendung setzt zudem voraus, dass
- die Produkte aus wenigen unterschiedlichen Werkstoffen bestehen bzw.
- deren Design eine einfache Zerlegung in Komponenten ermöglicht.
3. Recycling, Entsorgung und Wiederaufbereitung
a) Elektrische Medizingeräte
In der EU existieren für obsolet gewordene medizinische Großgeräte (MRT, CT, Röntgen) in der Regel Rücknahmesysteme vonseiten der Hersteller. Manche dieser Anlagen werden anschließend technisch überholt und auf dem Gebrauchtmarkt angeboten. Mehrheitlich aber zerlegt und recycelt man diese gemäß Abfallverordnung.
Wirtschaftlich nicht mehr reparable Kleingeräte, Instrumente und OP-Zubehör werden entweder über den Klinikabfall entsorgt oder als Schrott gesammelt bzw. als E-Schrott gebündelt abgegeben.
Leider unterbleibt aus ökonomischen Gründen oft das optimale stoffliche Recycling solcher Chargen. Ursachen hierfür sind stark schwankende Wertstoffanteile und Rohstoffpreise.
b) Einfache chirurgische Einweginstrumente
Eine spezielle Wertstoffkategorie stellen Einweginstrumente dar. Mengenmäßig dominiert dabei die sogenannte Stationsware. Das sind einfache chirurgische Instrumente aus Chromstahl, z.B. Pinzetten, Scheren, Klemmen oder Nadelhalter. Der gesamte Jahresverbrauch solcher Instrumente liegt in Deutschland aktuell bei über 20 Mio. Stück.
Diese Instrumente werden üblicherweise über den allgemeinen Klinikabfall kontinuierlich entsorgt und folglich zunächst „verbrannt“. Sie könnten aufgrund ihrer Größe und ihrer magnetischen Eigenschaften zumindest theoretisch aus der Rostasche separiert werden.
Ein großer Teil der Medizinprodukte, die in die Klassen I der ab Mai 2021 geltenden MDR fallen, wird von den Herstellern heute als explizite Einwegprodukte ausgelegt.
Zwar gibt es die Unterklasse Ir (r steht für „reusable“). Dennoch ist – aus wirtschaftlichen und hygienischen Gründen – ein eindeutiger Trend zur Nutzung von einem Produkt an nur einem Patienten festzustellen.
c) Komplexe Einweginstrumente
Komplexe Einweginstrumente der Klasse IIb sind beispielsweise multipolare (EP)-Katheter, mit denen intrakoronale Eingriffe durchgeführt werden.
Sofern diese Instrumente entsprechend gestaltet sind, können diejenigen Teile, die dem unmittelbaren Kontakt zum Patienten ausgesetzt waren, abgetrennt und separat verwertet werden. Durch den vermehrten Einsatz solcher hybriden Instrumente, die aus Mehrweg- und Einwegkomponenten bestehen, lässt sich die Wiederaufbereitung wirtschaftlich gestalten, ohne die Patientensicherheit zu mindern.
d) Werkzeugträger, Siebe
Die für einen konkreten operativen Eingriff benötigten Instrumente, Geräte und Endoprothesen werden in Sieben und speziellen Werkzeugträgern von der zentralen Sterilgutversorgung ZSVA (jetzt Aufbereitungseinheit für Medizinprodukte (AEMP) genannnt) zusammengestellt. Diese Behältnisse bestehen aus Kombinationen von Edelstählen, Aluminium- bzw. Titan-Legierungen sowie diversen Kunststoffen.
Neben den meist universell einsetzbaren Grundsieben sind viele dieser Tablett-ähnlichen Träger für spezifische Produkte eines Herstellers ausgelegt. Bei Systemwechseln oder Einführung bei neuen Eingriffsverfahren werden solche Spezialsiebe vielfach obsolet.
Da auch Standardsiebe durch die Nutzung verschleißen, fallen sie letztlich als Abfall mit einem hohen stofflichen Wertgehalt an.
e) Implantate, Explantate
Neben den Edelstählen bei OP-Gerätschaften sammeln sich besonders bei chirurgisch arbeitenden Zentren mit der Zeit Bestände an Explantaten an, die nach der vorgeschriebenen Aufbewahrungsfrist einer Verwertung zugeführt werden sollten. Diese Medizinprodukte bestehen überwiegend aus Metalllegierungen (Titan, Kobalt-Chrom, Zirkonium, Edelstähle) sowie aus Keramik und polymeren Kunststoffen.
Letztere sind nur mit mechanischem oder thermischem Aufwand abtrennbar. Allerdings sind hier einer wirtschaftlichen Verwertung enge Grenzen gesetzt. Obwohl zum Beispiel der Energieaufwand und die Prozesskosten für die Herstellung von Primär-Titan sehr hoch sind, lohnt sich eine metallurgische Rückgewinnung von medizinisch eingesetztem Titan kaum. Denn das Metall
- wird von den Herstellern in unterschiedlichen Legierungsvarianten verwendet,
- ist mit anderen Werkstoffen gefügt oder
- enthält z.B. Bohrungen, die in der Vakuumschmelze zu Fehlern im Sekundärwerkstoff führen.
Hier bietet sich stattdessen eine Verwertung als Zuschlagsstoff in der Stahlerzeugung (Ferro-Titan) an.
Da die anderen genannten Metalle schmelzmetallurgisch einfacher zu bearbeiten sind, werden dafür auch höhere Rohstoffpreise gezahlt. Insbesondere die Kobalt-Basislegierungen, aber auch die nickelhaltigen Stähle sind von großem Interesse.
f) Kunststoffe
In Medizinprodukten, die in direktem und vor allem längeren Kontakt mit Körperflüssigkeiten geraten (z.B. Dialysatoren), ist deren Biokompabilität eines der entscheidenden Kriterien für die Materialauswahl. Bei den polymeren Kunststoffen haben sich dafür eine ganze Reihe unterschiedlicher Werkstoffe etabliert:
Polyolefine (PE, PP), Polyacrylate, Silicon-und Polyurethan-Verbindungen dominieren, ergänzt durch chemisch besonders inertes Polytetrafluorethylen (PTFE) sowie Polyetheretherketone (PEEK) und Polysulfonate (PSU).
In anderen medizinisch-klinischen Kontexten wird statt Glas vermehrt Polystyrol für Infusatbehälter verwendet oder sogar noch PVC, z.B. für Blutbeutel.
g) Instrumente für minimalinvasive Eingriffe
Minimalinvasive Eingriffe verkürzen die Heil- und somit Verweilzeiten der Patienten im Krankenhaus und werden somit immer häufiger zur bevorzugten Behandlungsmethode u.a. der Chirurgie, Urologie und Kardiologie.
Die dafür benötigten Basisinstrumente sind verschiedene Formen von Endoskopen, die mit Optik, Mechanik und Elektrik/Elektronik für Gewebeentnahme, Thermobehandlung oder elektrophysiologische Stimulation ausgerüstet sind.
EP-Katheter werden als Einweginstrumente in der Kardiologie eingesetzt. Sie bestehen aus elektronischen Komponenten, Kunststoffen und einer Elektrodenspitze aus Platin. Letztere macht gebrauchte EP-Katheter für Entsorger extrem attraktiv.
Makroskopisch aus verschiedenen Werkstoffen zusammengesetzte Produkte lassen sich zumindest im Prinzip mit thermischen und/oder mechanischen Mitteln wieder trennen. Durch ein gezieltes Re-Design kann hier die Wirtschaftlichkeit des Recyclings der werthaltigsten Inhaltsstoffe verbessert werden.
4. Die aktuelle Situation
a) Hersteller setzen auf Einmalprodukte
Viele Hersteller setzen auf Einwegprodukte, denn das hat für sie mehrere Vorteile:
- Sie ersparen sich die Arbeit, die Produkte speziell für das Recycling oder das Refurbishment entwickeln zu müssen.
- Die Risiken, die spezifisch bei der Wiederaufbereitung und Wiederverwendung von Materialien entstehen, sind inhärent beherrscht.
- Der kontinuierliche Verkauf neuer Produkte sichert Umsätze.
- Die speziellen regulatorischen Anforderungen an wiederverwendbare (chirurgische) Produkte greifen bei Einwegprodukten nicht.
b) Die Kliniken tragen nur bedingt zum Recycling bei
Damit die wertvollen Inhaltsstoffe recycelt werden können, müssen sie vom normalen Müll getrennt werden, wie man das bei Haushaltsabfällen gewohnt ist. Diese Trennung findet in den Kliniken auch statt.
Sie betrifft aber in der Hauptsache die in größerem Umfang täglich anfallenden Verbrauchsgüter wie Glas, Papier und Kartonagen. Benutzte spitze und scharfe Gegenstände müssen in speziellen Behältern gesammelt werden, um sicher verschlossen entsorgt zu werden. Infektiöser Klinikmüll kann nicht recycelt werden, sondern muss verbrannt werden.
Weil viele Medizinprodukte aus zahlreichen Materialien bestehen, ist eine eindeutige kategoriale Zuordnung zu einer Stoffklasse gar nicht möglich. Weiter lässt sich die Zusammensetzung äußerlich oft nicht erkennen.
Somit wäre einer Forderung nach weiterer Differenzierung des Abfalls im notorisch überlasteten Klinikalltag nur schwer nachzukommen. Sie ist praxisfern und zudem unwirtschaftlich.
c) Das Recycling von Kunststoffen ist nicht wirtschaftlich
Zwar lassen sich monolithisch aufgebaute polymere Materialien wie Mehrschichtfolien – jedenfalls im Prinzip – nur in chemisch-thermisch-physikalischen Prozesskaskaden trennen. In der Praxis ist das in der Regel aber a) völlig unwirtschaftlich und b) fehlen die Abnehmermärkte für solche Sekundärstoffe.
Ein typisches Beispiel sind die Hohlfasern aus Polysulfonen, die in den Membrankartuschen von Dialysemaschinen zum Einsatz kommen. Polysulfone sind sehr teure Materialien. Die Entwicklung von stofflichen Recyclingverfahren würde sich dafür besonders anbieten, da die gleichen Polymere – allerdings in viel größeren Mengen als zur Blutwäsche – auch als Abfall in den mehrschichtigen Osmosemembranen von Meerwasserentsalzungsanlagen anfallen.
d) Die chemische Aufbereitung gestaltet sich schwierig
Für PTFE, das nicht thermoplastisch verarbeitet werden kann, gibt es chemische Recyclinganlagen, die daraus wieder die Monomere TPE und HFP (Hexafluorpropylen) generieren.
Da bei der Verbrennung von fluorhaltigen Verbindungen hochgiftiger Fluorwasserstoff (Flusssäure, HF) entsteht, ist dies nur in speziellen Anlagen zulässig. Die stoffliche Wiederaufbereitung von PTFE und deren Verbindungen leistet somit auch eine Minderung der Schadstoffbelastung der Umwelt.
Das in prothetischen Implantaten verwendete Polyethylen besonders hoher Dichte (UHDPE/UHMWPE) lässt sich zwar thermoplastisch recyceln, verändert dabei aber – ähnlich wie PTFE – seine polymere Struktur und verliert damit wichtige Eigenschaften.
Für das chemisch gleich aufgebaute hochdichte Polyethylen (HDPE) gibt es etablierte Recyclingverfahren. Eine separate Rückgewinnung mit Erhalt der speziellen chemischen Struktur von UHDPE ist aber nicht wirtschaftlich.
Auch die anderen oben genannten Kunststoffe können nur durch eine Abtrennung bereits am Entstehungsort oder durch eine nachgelagerte Separierung bei einem Entsorger soweit sortenrein gebündelt werden, dass eine Aufbereitung überhaupt lohnend wird.
Sonst bleibt nur die thermische Verwertung in Müllheizkraftwerken als geringwertigste Nutzungsoption übrig.
e) Das Umweltbewusstsein nimmt zu
Die Sensibilisierung der Kunden (d.h. Ärzteschaft, Pflegepersonal und Patienten) für die globale Belastung der Ökosphäre durch Abfälle und die Endlichkeit von Ressourcen wächst. Das „Wegwerfen“ von medizinischen Gerätschaften, auch solchen zur expliziten Einmalnutzung, wird von Anwendern und Öffentlichkeit zunehmend kritisch gesehen.
f) Fazit: Es gibt viel Optimierungsbedarf
Für klinische Wertstoffe gibt es weder in Deutschland noch in Europa etablierte Verwertungspfade, die deren komplexem Wertgehalt Rechnung tragen. Metallhaltige Explantate und Instrumente einem allgemeinen Altmetallverwerter zu überlassen, ist wegen der organischen Anhaftungen schwierig und stellt zudem aufgrund der anspruchsvollen Materialmischungen meist keine Lösung für ein werterhaltendes Recycling dar.
Bei vielen medizinischen Altprodukten findet in der Regel auch deshalb kein qualitatives Recycling statt, weil
- die Auflagen des Gesundheitsschutzes dies erschweren und
- es sich mengenmäßig für die einzelnen Gesundheitsbetriebe nicht lohnt und mit zusätzlichem Aufwand verbunden ist.
5. Regulatorische Anforderungen bei der Entsorgung
a) Überblick
Bei der Entsorgung und stofflichen Verwertung gebrauchter Medizinprodukte sind in Deutschland vielerlei gesetzliche Vorgaben zu beachten:
- Arbeits- bzw. Unfallschutz
- Allgemeiner Gesundheits- und Infektionsschutz
- Abfallrecht (EU-Abfallrahmenrichtlinie, Bundeskreislaufwirtschaftsgesetz, Abfallgesetze der Länder, kommunale Satzungen)
- Transportrecht
Teile der genannten Regelwerke sind für die innerklinischen Sammel- und Entsorgungsvorgänge relevant, andere bei den außerklinischen Prozessen.
Wie im Medizinprodukterecht gibt es auch hier eine Gesetzeshierarchie:
- EU-Recht
- Nationale Gesetze
- Durchführungsverordnungen
- Sonstige Empfehlungen
Diese Vorgaben sind jedoch nicht immer kollisionsfrei aufeinander abgestimmt. Das erschwert es in der Praxis, die erforderlichen Maßnahmen abzuleiten und umzusetzen.
b) Arbeits- und Infektionsschutz
Regulatorische Vorgaben
Die Aufgaben der gesetzlichen Unfallversicherung übernehmen bei allen nichtstaatlichen Einrichtungen die Berufsgenossenschaften. Bei Gesundheitsbetrieben macht die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) Vorgaben an die Arbeitgeber, um den Versicherungsschutz für das Personal zu gewährleisten.
Diese Vorgaben orientieren sich beim beruflichen Umgang mit biologischen Arbeitsstoffen im Gesundheitswesen und der Wohlfahrtspflege wiederum an den Vorschriften der TRBA 250 (Technische Regeln für Biologische Arbeitsstoffe).
Hinzu kommen die Empfehlungen (Vollzugshilfen) der Länderarbeitsgemeinschaft Abfall zum Umgang mit Abfällen aus Gesundheitsbetrieben (LAGA M18). Dabei bildet eine grundsätzlich vom Abfallerzeuger vorzunehmende Einordnung seiner Abfälle anhand der Abfallverzeichnis-Verordnung (AVV) die Grundlage.
Basierend auf den Abfallschlüsseln (AS) der AVV ist zwischen gefährlichen (AS mit *) und ungefährlichen Abfällen aus Gesundheitsbetrieben zu unterscheiden. Daraus leiten sich dann die Vorgaben für den Arbeitsschutz ab.
Gefährdungsbeurteilung
Das gesamte Abfallmanagement einer Klinik wird dazu einer Gefährdungsbeurteilung unterzogen. Die Tätigkeiten der Mitarbeiter sind hinsichtlich ihres Gefährdungspotenzials zu bewerten:
- Auf den Stationen: Getrenntes Sammeln kontaminierter und/oder gefährlicher Abfälle in Behältern
- Beim Weitertransport in der Klinik: Abholung, Zwischenlagerung
- Bei der abschließenden Verladung auf Entsorgungsfahrzeuge
Diese Bewertung muss klären, mit welchen gesundheitlichen Risiken die einzelnen Tätigkeiten verbunden sind, beispielsweise Stich- und Schnittverletzungen, Infektionen durch Viren oder Bakterien sowie körperliche Belastungen (z.B. durch Transportarbeiten).
Sofern diese Risiken über dem – aufgrund des im Hause betriebsbedingt ohnehin vorhandenen – Gefährdungsniveau liegen, müssen entsprechende Maßnahmen festgelegt und umgesetzt werden. Dazu zählen:
- Betriebsanweisungen über das Vorgehen beim Einsammeln, Befördern, Lagern und Entsorgen von Abfällen
- Verbindliche, ausreichende und wiederholte Schulung dieser Anweisungen für die Mitwirkenden des Abfallmanagements der Klinik
- Verwendung geeigneter Sammel- und Transportbehälter für Klinikabfälle. So darf z.B. der Abwurf von gefährlichen „spitzen und scharfen“ Instrumenten (Kanülen, Skalpelle u.ä., den sogenannten sharps), nur in dafür zugelassenen und bauartgeprüften Behältern erfolgen.
c) Abfallrecht
Das Abfallrecht entstand aus der Notwendigkeit des Gesundheitsschutzes der Allgemeinheit sowie der in Gewerbe und Industrie tätigen Menschen heraus. Heute versteht sich Abfallrecht als Bestandteil des am Ressourcenschutz und -erhalt orientierten Bundeskreislaufwirtschaftsgesetzes (KrWG). Unter Berücksichtigung der erweiterten Schutzziele der Ökologie bestimmt das in der Umsetzung von den Länderbehörden verantwortete Abfallrecht den Umgang mit den von den Eigentümern zur „Entledigung bestimmten“ Stoffen. Der Umfang hoheitlicher Genehmigungs-, Kontroll- und Anzeigenauflagen orientiert sich wieder an der Unterscheidung zwischen gefährlichen und ungefährlichen Abfällen.
Anforderungen an Kliniken
Aus Sicht der Klinikbetreiber bzw. der mit dem Abfallmanagement beauftragten externen Unternehmen schreibt die Gewerbeabfallverordnung (GewAbfV) eine detaillierte Erfassung und Dokumentation vor. Dokumentiert werden müssen:
- Produzierte Abfallmengen
- Zusammensetzung des Abfalls
- Entsorgungspfade
Diese Aspekte betreffen besonders den hausinternen Umgang mit Abfällen bzw. Wertstoffen aus Medizinprodukten. Sie sind vorrangig für die Klinik in ihrer Eigenschaft als Abfallerzeugerin relevant. Diese Aspekte schlagen sich nieder in
- der Getrenntsammlung der üblichen recyclingfähigen Materialien (Glas, Papier, Leichtverpackungen etc.) sowie
- dem gesetzeskonformen Umgang mit den gesundheitsbetrieblich spezifischen Abfällen.
Die Verantwortung für den weiteren, „(ver)ordnungsgemäßen“ Umgang mit den Abfällen geht mit der Übergabe an einen – für diese Abfallarten zertifizierten – Entsorger an diesen über. Je nach AS ist für die abschließende Dokumentation ein Entsorgungsnachweis zu erbringen.
Anforderungen an Entsorger und Verwerter
Die sich daran anschließende Transportlogistik, Verbringung und Behandlung des Abfalls wird durch Transportgesetz, Abfallverbringungsgesetz sowie letztlich wieder das KrWG geregelt.
Juristisch relevant bei „Abfällen zur Verwertung“ ist, an welcher Stelle im Entsorgungsprozess diese ihre Abfalleigenschaften verlieren und zum sekundären Rohstoff werden.
Diese Trennlinie ist bei wertstoffhaltigen Klinikabfällen, die in medizinischem Patientenkontakt standen, wegen potenzieller Kontamination bzw. sogar Infektiosität schwierig zu ziehen. Zwar reicht wie bereits beschrieben die thermische Behandlung der Abfälle für eine „Schadstoffentfrachtung“ aus. Jedoch wird das getrennte Sammeln vor solch einer Behandlung durch die Vorgaben des Arbeitsschutzes in der Praxis eher erschwert.
Allgemeine Anforderungen des KrWG
Das Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) hat durch seine Novellierung vom 20.10.2020 drei neu gefasste Paragrafen erhalten, die insbesondere für die Produzenten von medizinischen Gütern mehr Optionen für ein werterhaltendes Recycling ihrer Produkte nach Gebrauch bieten:
§ 5 Rechtsverordnungsermächtigung zur Lösung juristischer Schwierigkeiten
§ 5 Abs. 2 formuliert die Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung zum Ende der Abfalleigenschaft deutlich umfangreicher als bisher. Eine geeignete Rechtsverordnung könnte helfen, das folgende Problem zu lösen:
Getrennt gesammelte chirurgische Einweginstrumente aus Chromstahl können dem direkten metallurgischen Recycling zugeführt werden. Solange allerdings diese Instrumente rechtlich als Abfall eingestuft werden, dürfen sie formal nicht direkt in einen Hochofen gegeben werden, da dieser keine Zulassung zur Abfallverbrennung hat.
Welche prozessualen Schritte nötig sind, damit aus gebrauchten Instrumenten letztlich Schrott und damit also ein Sekundärrohstoff wird, bleibt eine rein administrativ zu klärende Frage. Physikalisch ändert sich am Material beim „Ende der Abfalleigenschaft“ natürlich überhaupt nichts.
§ 9 Sammeln und Behandeln von Abfällen
§ 9 KrWG thematisiert das getrennte Sammeln und Behandeln von Abfällen zur Verwertung. Dieser Paragraf hebt hervor, dass bei deren Behandlung die darin enthaltenen gefährlichen Stoffe (bei Medizinprodukten auch Keime) möglichst zu entfernen sind. Die zur stofflichen Verwertung getrennt gesammelten Abfälle sollen stattdessen (möglichst) nicht bloß energetisch verwertet werden.
Insbesondere für werthaltige Medizinprodukte bietet dieser Paragraf eine gute Ausgangsbasis, um die bisher – pauschal, weil preiswert – in Müllverbrennungsanlagen erfolgte sogenannte „Verwertung“ in Zukunft durch andere Prozesse zu ersetzen.
Ein Ansatz für ein ökonomisch attraktives, stoffliches Recycling, ohne den Gesundheitsschutz dafür zu schwächen, bedingt somit folgende Voraussetzungen:
- Werthaltige Produkte trennen, bevor sie in den allgemeinen Abfallstrom der Klinik geraten
- Wertstoffe zu einem größeren Fundus zusammenführen
§ 25 Rücknahme und Rücknahmepflichten
§ 25 formuliert die Grundlage für gesetzlich verankerte Anforderungen an Rücknahme- und Rückgabepflichten, die Wiederverwendung, die Verwertung und die Beseitigung der nach Gebrauch der Erzeugnisse entstandenen Abfälle bis hin zu Kostenbeteiligungen der Produkthersteller für die Reinigung der Umwelt.
Dieser Paragraf liest sich als implizite Aufforderung an die Hersteller von Medizinprodukten, sich proaktiv um ein geeignetes, am besten branchenübergreifendes Rücknahmesystem für ihre verbrauchten Waren zu kümmern, bevor es ihnen der Gesetzgeber zu seinen Konditionen vorschreibt.
Bei der möglichen Kostenbeteiligung an den Reinigungskosten gerät die Diskussion um die Belastung von Krankenhausabwässern u.a. durch Kontrastmittel erneut ins Blickfeld.
6. Chancen für Medizinproduktehersteller
a) Neue Geschäftsmodelle 1: Pay-per-Use & Pfandsysteme
Durch neue Geschäftsmodelle gelingt es Herstellern, einen Schritt in eine nachhaltigere Zukunft zu gehen. Beispielsweise enthalten EP-Katheter Platin. Diese gebrauchten Einwegprodukte werden sehr gerne von Recyclern angekauft, denn mit dem Edelmetall lässt sich mehr Geld verdienen, als die Entsorgung der wertlosen Reste kostet.
Ein Hersteller solcher Instrumente wiederum muss für seine Neugeräte Platin wieder am Markt einkaufen, ggf. für seine Anwendung konditionieren und in Form bringen. Würde er stattdessen seine Instrumente lediglich den Anwendern zur Nutzung überlassen, blieben diese in seinem Eigentum. Dieses kann er nach der Nutzung zurückholen und das Platin erneut einsetzen.
Anzustreben sind somit Produktions- und Verbrauchsmodelle, die neben dem wirtschaftlichen Gebrauchswert auch auf die Erhaltung des Stoffwerts fokussieren. Um bei solchen Pay-per-Use-Modellen, die mit Stoffströmen gekoppelt sind, die Rückführverluste zu minimieren, bieten sich u.a. Pfandsysteme an.
Das bedeutet, dass solche Instrumente nach Gebrauch in der Klinik gesammelt und mit möglichst wenig Verlust der intendierten Verwertung zugeführt werden. Das bedeutet auch, dass diese Strategie umso lohnender wird, je konsequenter sie bei immer mehr Produkten eines Herstellers angewendet wird.
b) Neue Geschäftsmodelle 2: Wertstofftonne „Klinik“
Wie die Erfahrung bei der Rücknahme chirurgischer Einweginstrumente gezeigt hat, reichen die in einzelnen Kliniken verwendeten Stückzahlen bzw. Materialmengen an Medizinprodukten eines einzelnen Herstellers oft noch nicht aus, um ein Rücknahmesystem kostendeckend zu betreiben.
Alternativ zu proprietären Einzellösungen bietet sich der Aufbau eines werkstoff-, produkt- und herstellerübergreifenden Sammelsystems an (Wertstofftonne „Klinik“). Wie das Institut für Recycling, Ökologie & Design (IRED) ermittelt hat, stellt die Einhaltung des speziellen Arbeitsschutzes keinen kostentreibenden Faktor dar, sofern es sich nicht um infektiös kontaminierte Abfälle handelt.
Einer branchenspezifischen, herstellerübergreifenden Plattform für die Rücknahme stehen auch abfallrechtlich einige Möglichkeiten offen:
Unter der Prämisse, dass es sich um nicht gefährliche gewerbliche Abfälle handelt, besteht weder eine Überlassungspflicht (gem. § 17 KrWG) noch eine Anzeigepflicht gegenüber den Abfallbehörden. Zum einen ließe sich der Sachverhalt der sog. Freiwilligen Rücknahme (§26 KrWG) herstellereigener Produkte über die Wertstoffplattform realisieren – allerdings wäre dafür ein behördlicher Feststellungsbescheid erforderlich. Zum anderen lassen sich die eingesammelten Wertstoffe als a) Abfälle zur Verwertung oder b) Elektronik-Schrott (gem. AVV) einstufen.
Sofern es sich bei beiden Kategorien um nicht gefährliche Abfälle handelt, wäre dafür wieder keine behördliche Genehmigung erforderlich. Die faktische Entsorgung erfolgt ohnehin durch zertifizierte Fachbetriebe.
c) Wettbewerbsvorteile durch Herstellerkooperationen
Krankenhäuser und deren Einkaufsgemeinschaften sind daran interessiert, sich nicht in die Abhängigkeit eines einzelnen Herstellers zu begeben. Würden sich ausgewählte Hersteller auch bei der Verwertung zusammentun, hätte das Vorteile auf verschiedenen Ebenen:
- Dieser Herstellerverbund hätte einen Wettbewerbsvorteil, eine Marktmacht und die Möglichkeit, sich von anderen Herstellern z.B. aus Billiglohn-Ländern abzugrenzen.
- Gemeinsam ließen sich die Wertstoffe umfänglich sammeln und erhalten.
- Die Kosten für Erfassung und Logistik würde man sich teilen.
- Materialmenge und der Materialmix sind für die Verwerter wirtschaftlich attraktiver.
- Es entsteht ein geringer Vorsortierungsaufwand für die Abfallerzeuger (Kliniken), weil es keine herstellerspezifische Aufteilung des Abfalls bedarf.
- Durch das Recycling verringern sich für die Kliniken die Mengen und damit die Kosten für den zu entsorgenden Abfall.
- Eine gemeinsame Initiative vereinfacht die von der GewAbfV geforderte Dokumentation von Abfallmengen, Abfallarten und Abfallverbleib.
- Die oben skizzierten neuen Geschäftsmodelle sind für die Hersteller dennoch möglich.
Eine gemeinsame Initiative dürfte auch im Interesse der Kliniken sein:
- Vereinfachung der Entsorgung (Prozess & Dokumentation)
- Keine Vorsortierung notwendig
- Niedrigerer Bedarf an Stellflächen für separate Sammelbehälter
- Minderung der Entsorgungskosten (Mengenreduktion bzw. Kick-back)
- Geringere Einkaufskosten durch Pay-per-Use-Modelle
d) Kommunizierbare gelebte Nachhaltigkeit
Das Bemühen um ein nachhaltiges Recycling sollte nicht nur von Kosten- und Gewinndenken geprägt sein. Es geht um eine verbesserte Nachhaltigkeit:
- Wir sollten die Umwelt mit weniger Müll belasten.
- Wir sollten mit den vorhandenen Ressourcen (Energie, Rohstoffe) sorgsamer umgehen.
Ungeachtet dessen lässt sich ein nachhaltiges Wirtschaften in der Außendarstellung sowohl von Herstellern als auch Betreibern wirksam kommunizieren.
7. Voraussetzungen für ein wirksames Recycling
a) Generelle Bereitschaft zur Innovation
Medizinprodukte müssen vor ihrer Zulassung meist aufwendige, langwierige und damit teure Prüfungsverfahren durchlaufen. Unter der Maßgabe des besseren Patientenschutzes sind diese Hürden durch die MDR sogar noch höher gelegt.
Nachhaltiger Ressourceneinsatz gehört allerdings nicht zu den gesetzlich vorgegebenen Prüfkriterien für Medizinprodukte. Dass ein einmal zugelassenes Produkt verändert wird, nur um seine stoffliche Rezyklierbarkeit zu verbessern, bleibt wishful thinking, solange der Gesetzgeber dies nicht zwingend vorschreibt.
Der Fisch stinkt vom Kopf: Es ist und bleibt die Aufgabe des Top-Managements, das Recycling und die Nachhaltigkeit als Firmenziel zu verankern und deren Umsetzung sicherzustellen.
b) Recyclinggerechtes Design der Produkte
Eine Gelegenheit zum Re-Design unter Nachhaltigkeitsaspekten bietet sich, wenn funktionelle oder konstruktive Änderungen eines Produkts ohnehin erneute Prüfungen nach sich ziehen. Dann sollte beispielsweise beim Re-Engineering eines hochwertigen Einwegendoskops darauf geachtet werden, dass
- weniger unterschiedliche Werkstoffe eingesetzt,
- diese leichter voneinander trennbar verbaut,
- für ein Verwertung attraktiv gewählt und
- aufbereitete Teile ggf. erneut in einem Produkt einsetzbar werden.
c) Unterstützung durch Politik und Fachgremien
Wie oben dargelegt, besteht ein Zielkonflikt zwischen
- dem Primat der Hygiene, d.h. den Forderungen nach substanziellem Arbeits-, Gesundheits- und ggf. auch zusätzlichem Infektionsschutz und
- dem stofflichen Verwertungsprimat des KrWG.
Dieser Zielkonflikt lässt sich zwar aus der historischen Entwicklung der beiden Regelwerke erklären, bedarf aber eines praxistauglichen Ausgleichs, um dem Nachhaltigkeitsansatz bei Medizinprodukten mehr Gewicht einzuräumen.
Leider nutzen genehmigungsrechtlich zuständige Instanzen die Interpretationsspielräume zur Förderung des Ressourcenerhalts aus Vorsicht nicht. Sie fühlen sich stärker den gültigen Vorschriften zum Arbeits- und Gesundheitsschutz verpflichtet.
Damit diese Instanzen mit einer höheren Rechtssicherheit auch im Sinne der Nachhaltigkeit entscheiden können, bedarf es u.a. klarerer Definitionen z.B. bezüglich der Prozesse und der Örtlichkeiten (Betriebsstätten), an denen sich der Übergang vom Abfall zum Rohstoff vollzieht.
Zukünftig wird eine weitere Koordination zwischen abfall-, arbeits- und gesundheitsschutzrechtlichen Vorschriften erforderlich, um kreislaufwirtschaftliche Prozesse auch legislativ zu fördern. Hier sind flankierende Unterstützung vonseiten der Politik und konstruktive Mitwirkung der behördlichen und körperschaftlichen Fachgremien notwendig (#RegulatoryScience).
8. Zusammenfassung und Fazit
a) Status quo
Noch ist der nachhaltige Umgang mit den Materialien, die in Medizinprodukten verwendet werden, oft teurer als die bisherige lineare Herstellungsweise. Diese besteht aus folgenden Schritten:
- Rohstoffe abbauen
- In Billiglohnländern produzieren
- Teuer in Europa verkaufen
- Produkte nutzen und danach wegwerfen
- Produkte entsorgen, meist verbrennen
Die Krankenhäuser stehen unter starkem Kostendruck. Daher ist deren Bereitschaft beschränkt, sich in Sachen Nachhaltigkeit über das gesetzlich geforderte Maß hinaus zu engagieren. Hingegen werden Vorschläge aufgegriffen, die dazu beitragen, die Betriebskosten kurz- und mittelfristig abzusenken.
Zwar ist die Abfallentsorgung ein relevanter Faktor in der Bilanz. Allerdings machen die besonders werthaltigen Medizinprodukte volumen- und massenmäßig derzeit nur einen vernachlässigbaren Teil aus. Von Großgeräten und kompletten OP-Einrichtungen abgesehen.
Die Rechtslage verschärft die Tendenz, Produkte im Zweifel zu verbrennen und nicht dem Recycling zuzuführen.
Mit steigenden Kosten für Rohstoffe und Entsorgung sowie mit wachsendem Umweltbewusstsein stößt dieser Ansatz an seine Grenzen.
b) Schritte zu mehr Nachhaltigkeit
Hersteller und Klinken sind nicht nur aus ökologischen, sondern auch aus ökonomischen Gründen gut beraten, die Recyclingquote der Wertstoffe aus Medizinprodukten nachhaltig zu verbessern.
Neue gemeinsame Konzepte zur Wertstoffrückgewinnung
- Identifizieren Sie mögliche unternehmerische Projektpartner. Kooperieren Sie mit den Marktführern aus den Bereichen Klinikversorgung, Klinikbetrieb, Logistik & Entsorgung.
- Erfassen Sie gemeinsam spezifische „klinische“ Abfall- und Altstoffe im Rahmen vorhandener Entsorgungs- u. Verwertungsstrukturen.
- Entwickeln Sie gemeinsam wirtschaftliche Entsorgungskonzepte.
- Bauen Sie ein material-, produkt- und herstellerübergreifendes sowie logistisch nachhaltiges Sammelsystem (Wertstofftonne “Klinik“) auf, das auch die Vorgaben des Arbeits- und Gesundheitsschutzes erfüllt.
- Richten Sie ein Pilotprojekt ein für die Sortier- und für Wertstoffe aus Kliniken, Gesundheitsbetrieben, veterinärmedizinischen und gerichtsmedizinischen Einrichtungen.
- Klassifizieren Sie die Altmaterialien hinsichtlich Weiternutzung bzw. Recycling und Aufbereitung.
Sichern Sie sich bei diesen Schritten die wissenschaftliche Unterstützung. Das betrifft auch die Entwicklung und die technische Anpassung von innovativen, auf die spezifischen Wertstoffe ausgerichteten Trenn-, Sortier- und Klassierungsverfahren.
Recyclingfähigkeit „by design“
Passen Sie Ihre Produkte und Fertigungsverfahren zur Herstellung MDR-konformer Medizinprodukte so an, dass Rohstoffen wiederverwendet oder sogar vermieden werden können.
Recycling und die Schonung der Ressourcen sollte das Anliegen aller Menschen und Organisationen sein. Über Nachhaltigkeit zu reden reicht nicht aus. Es ist Handeln angesagt.
Das Institut für Recycling, Ökologie und Design IRED in Frankfurt/M. und sein Forschungspartner, das Fraunhofer Institut für Wertstoffkreisläufe und Ressourcenstrategie IWKS in Alzenau, unterstützen mit ihrer gemeinsamen wissenschaftlichen Kompetenz und einem recyclingwirtschaftlichen Netzwerk die Hersteller von Medizinprodukten, Recyclingbetriebe sowie Kliniken in allen Phasen der Umsetzung oben genannter Maßnahmen.
Weitere Informationen erhalten Sie von Prof. Werner Lorke (lorke@ired-institute.com) vom Institut für Recycling, Ökologie und Design IRED.
Vor dem Hintergrund des neuen ElektroG in Deutschland (EiF voraussichtlich 2022-01-01) wäre es interessant, näher auf Entsorgung / Rücknahme / Recycling von medizintechnischen EEE einzugehen.
Das künftige ElektroG fordert auch für B2B die Ausarbeitung eines Rücknahmesystems. Geplant ist, dass das Konzept bei der Stiftung EAR eingereicht und von ihr befürwortet werden muss. Außerdem müssen auch medizintechnische EEE, die nicht im privaten Haushalt genutzt werden, mit dem Symbol „Durchgestrichene Mülltonne“ gekennzeichnet sein, etwa auf dem Geräte-Label (Anmerkung: meines Wissens war das schon immer eine Forderung aus der EU WEEE-RL 2012/19/EU).
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass medizintechnische EEE, die bei der Nutzung voraussehbar durch Probenmaterial kontaminiert und dadurch potentiell infektiös werden / werden können?, von der Rücknahmepflicht ausgenommen sind. Infektiöse Geräte fallen nicht in den Scope der WEEE und deren nationale Umsetzungen.
Somit müssten für solche Geräte keine Rücknahmesysteme erarbeitet, bei EAR eingereicht und implementiert werden. Allerdings: „darf“ man überhaupt wissentlich ein Gerät so konstruieren, dass eine solche Kontaminationsgefahr vorhersehbar ist, sprich: wissentlich in Kauf genommen wird? Steht dies noch im Einklang mit den Grundlegenden Anforderungen der Medizinprodukte-Richtlinien bzw. Verordnungen? – Für EEEs, die direkt am Menschen „wirken“ und mit Körper/Körperflüssigkeiten in vivo in Kontakt kommen, und für Implantate ist eine potentielle Kontamination in einigen Fällen m. E. nicht ausschließbar. Aber wie sieht es mit IVD Medizingeräten aus? Ist hier der Ausschluss von „infektiösen“ Geräten aus dem Geltungsbereich von WEEE-RL und ElektroG und damit die Befreiung von Rückholpflichten nicht eher theoretischer Natur, da solche Geräte wegen nicht-Konformität zu IVD-RL bzw. künftig IVD-VO gar nicht in Verkehr gebracht werden dürften?
Wer hilft, das Dilemma aufzudröseln und zu lösen?
Sehr geehrte Frau Drescher,
vielen Dank für Ihre Frage.
Gem. ElektroG Anhang III werden medizinische Geräte (Groß- u. Kleingeräte) in die Rücknahme-, Quoten- und Verwertungsvorgaben des Gestzes explizit mit einbezogen.
Die Ausnahme bei potentiell infektiös kontaminierten Geräten haben Sie korrekt benannt. Hier gilt das in meinem Artikel mehrfach angesprochene Primat des Gesundheitsschutzes weiterhin in aller Strenge.
Allerdings: Der Gefahr einer potentiell infektiösen Kontamination sind ja nicht nur IVD-Produkte ausgesetzt, sondern alle – insbesondere die invasiven – Med-Produkte (Kl. II /III MDR).
Für den Umaang mit infektiösen Kontaminationen bzw. Abfällen gelten die bekannten Regularien (der VBG, TRBA 250, LAGA M18 sowie des IfSG).
Da es der bestimmungsgemäße Zweck von IVD-Geräten ist, entnommene (Gewebe)-Proben zu analysieren, ist eine potentielle infektiöse Kontamination durch diese Proben ein Risiko, das untrennbar mit dem bestimmungsgemäßen Einsatz verbunden ist. Es ist bei der bestimmungsgemäßen Verwendung von IVD Geräten billigend in Kauf zu nehmen.
Eine Gefährdungsbeurteilung gem. TRBA 250 bei deren Einsatz muß deshalb zwingend vorgenommen werden. Die Gefahr einer potentiellen infektiösen Kontamination von IVD-Geräten besteht bei der Bedienung, Handhabung, Reinigung bzw. Entsorgung.
Insofern greift m.E. das Argument der grundsätzlichen Nicht-Konformität mit der IVD-RL /VO nicht, da die potentielle Gefahr nicht intrinsisch von dem Produkt ausgeht, sondern erst bei dessen bestimmunsgemäßen Gebrauch entsteht.
MfG
W.Lorke
Sehr geehrter Herr Professor Lorke,
vielen Dank für diesen sehr umfassenden und innovativen Beitrag.
Die Anforderungen und Verfahren für eine Ökobilanz sind in DIN EN ISO 14044 normativ recht umfangreich beschrieben. „Noch eine weitere Norm erfüllen“ wäre wahrscheinlich fachlich eine Art sportliche Herausforderung (und sollte für MDR-geübte formal auch machbar sein). Es wäre für einen Hersteller sicher auch ein interessanes Alleinstellungsmerkmal.
Es muss dann nur noch gelingen, damit bei der Abnehmerseite die Wertschätzung zu erlagen, den dann rechnet es sich auch betrieblich. Welche Erfahrung haben Sie damit gemacht?
Viele Grüße
Raimund Mödlhammer
Sehr geehrter Herr Mödlhammer,
vielen Dank meinerseits für Ihren Hinweis.
Die DIN EN ISO 14044 gibt im beschriebenen Kontext sicher brauchbare Kriterien an die Hand, um Herstellungsprozesse und Produkte bztgl. ihres ökologischen Impact zu bewerten ( wenn man sich sehr viel Mühe gibt) . Für die konkrete Ausrichtung an kreislaufwirtschaftlichen Kriterien ist m.E. die Norm zu allgemein gefasst. Brauchbare Ansätze müssen produktspezifischer erarbeitet werden.
Meine Erfahrungen mit der Abnehmerseite: Der (Klinik)Einkauf agiert bekanntlich extrem kostengetrieben. Er möchte zwar „nachhaltigere“ Lösungen (vom Med.-Produkthersteller), definiert nicht, was damit gemeint ist und es darf nicht mehr kosten. Um hier eine – im Sinne der Ressourcenschonung – bessere Ausgangslage zu schaffen, müss(t)en folglich Kostenvorteile für beide Partner generierbar sein. Als kostentreibende Randbedingungen sind hier auch bestehende und absehbare gesetzliche Vorgaben zu berücksichtigen.
MfG
W.Lorke
Sehr interessanter Artikel.
Ich möchte nur noch etwas hinzufügen, was auch zur Verwendung von z.B. Einwegwerkzeugen beiträgt (z.B. chirurgische Instrumente für Dentalimplantate): die Behandler können Mehrweginstrumente nur sehr schwierig verrechnen und bleiben daher zum Teil auf den Anschaffungskosten für ein chirurgisches Tray sitzen.
Bei Einweginstrumenten stellt sich diese Frage nicht, da man dies komplett dem Patienten weiterverrechnen kann. Es ist also auch ein wirtschaftlicher Wunsch der Behandler, der dann an die Hersteller herangetragen wird. Diese setzen den Wunsch natürlich bereitwillig um, da dies ein kontinuierlicher Umsatz generiert.
Aufbereitbare chirurgische Trays sind oftmals weit über die vorgegebene Lebensdauer im Verkehr – entsprechend ist der Umsatz nur schwer planbar…
Kassen mit ihren Verrechnungsmodellen können also auch entscheidend zur Wiederverwendung (oder zu deren Unterlassung) beitragen.
Danke für Ihre Ergänzung!
Projekt Lazarus – Auferstehung eines abgelaufenen Freestyle Libre Sensors
Diabetiker überwachen zunehmend ihren Blutzuckerwert mit kontinuierlich messenden Blutzuckermessgeräten (CGM). Aus medizinischen Gründen beschränken die Gesundheitsbehörden die Tragedauer eines CGMs auf maximal 14 Tage. Allein von dem Produkt Freestyle Libre werden weltweit etwa 40 Millionen Stück pro Jahr angewendet und dann meist über den Hausmüll entsorgt.
Gebrauchte, abgelaufene Freestyle Libre Sensoren® können mit einer Smartphone App programmiert werden. Damit erhalten die Sensoren neue Gebrauchseigenschaften. Die ursprüngliche Zweckbestimmung als CGM geht dabei verloren. Der Sensor wird zum Lazarus, beispielsweise zu einem Temperaturmessgerät (Thermometer) oder dient der Kühlkettenüberwachung von Insulin.
Download der Lazarus Thermometer App bei Google Play: https://play.google.com/store/apps/details?id=com.diafyt.lazarus
Lazarus ist Open Source, Quelltext ist öffentlich und von Dritten eingesehen, geändert und genutzt werden.
Ich versuche Ihre Neugierde zu wecken. Falls wir damit erfolgreich sind, dann melden Sie sich bei uns oder schreiben einen Kommentar.
Recycling – wir tun was
LG Thomas Wuttke
Interessanter Beitrag mit Mehrwert. Vielen Dank dafür, ich war auf der Suche nach genau so einer Auflistung.
Aufschlussreicher Beitrag der zeigt, dass die Nachhaltigkeit weiter in den Fokus rücken wird.
Vielen Dank für den informativen Artikel. Vor allem interessant zu lesen, wie der Prozess aussieht, wenn es um Folie Recyclen geht.
Dieser Artikel hat meine Aufmerksamkeit auf die wichtige Rolle gelenkt, die das Recycling von Medizinprodukten sowohl für die Umwelt als auch für die Patientensicherheit spielt. Es hat mich dazu inspiriert, die Nachhaltigkeitspraktiken meines Unternehmens weiter zu verbessern. Ich werde nun die Möglichkeiten zur Wiederverwendung und zum Recycling unserer Produkte prüfen und dabei die Sicherheit der Patienten im Auge behalten. Vielen Dank für die wertvollen Informationen
Guten Tag,
wir haben verschiedene Medizinprodukte die unter das ElektroG fallen (Laryngoskope, Otoskope, Diagnostikleuchten, etc.). Im ElektroG wird gefordert, dass das Symbol der durchgestrichenen Mülltonne direkt auf dem Produkt sein muss. In der DIN EN 60601-1 steht allerdings, dass die Angabe auf dem Etikett/der Gebrauchsanweisung ausreichend ist. Was gilt nun?
Für uns wäre es natürlich besser, wenn die Angabe auf den Etiketten ausreichend ist.
Viele Grüße
Liebe Frau Lerch,
Vielen Dank für Ihre Frage, die ich gern beantworte. Im ElktroG steht im Paragraph 9: „Die Geräte nach Absatz 1 sind außerdem mit dem Symbol nach Anlage 3 dauerhaft zu kennzeichnen.“ Daraus erkenne ich nicht, dass die Kennzeichnung direkt auf dem Gerät angebracht werden muss. Dass die Kennzeichnung dauerhaft sein muss, verlangt auch die IEC 60601-1. Diese Anforderung gilt auch für das Typenschild. Sie können das Symbol also auch auf das Typenschild/Etikett drucken und der Wischtest wäre ein Nachweis für die Dauerhaftigkeit.
Beantwortet das Ihre Frage? Sonst fassen Sie gern nochmals nach.
Herzlichst, Mario Klessascheck