Normen und Gesetze fordern von Medizinprodukteherstellern Maßnahmen zur Risikobeherrschung bzw. Risikominimierung.

Inhalt

Diese Seite verschafft Ihnen einen schnellen Einstieg in dieses Thema und verlinkt auf weiterführende Fachartikel mit Praxistipps.

  1. Maßnahmen zur Risikobeherrschung
  2. Risikobeherrschung im Produktlebenszyklus
  3. Sonderfälle
  4. Unterstützung

1. Maßnahmen zur Risikobeherrschung

a) Ziele der Maßnahmen

Hersteller müssen die Risiken nicht nur beherrschen, sondern so weit minimieren (s. Abb. 1), dass die Restrisiken akzeptabel sind.

Bild zeigt Risikotabelle: Die Maßnahmen zur Risikobeherrschung müssen die Risiken bis auf ein akzeptables Maß reduzieren

Abb. 1: Risikominimierenden Maßnahmen reduzieren die Wahrscheinlichkeit oder/und Schweregrade möglicher Schäden.

Die Pflicht zur Minimierung von Risiken betrifft alle Risiken, nicht nur Risiken, die der Hersteller gemäß seiner Akzeptanzkriterien als inakzeptabel bewertet hat (roter Bereich in Abb. 1).

b) Typen an Maßnahmen

Die Gesetze und Normen unterscheiden drei Klassen von Maßnahmen zur Risikominimierung:

Maßnahme Erläuterung Beispiele
Inhärente Sicherheit Ein Produkt oder ein Prozess ist so gestaltet, dass ein Risiko nicht auftreten kann. Ein Produkt, das keine allergischen Substanzen enthält, kann keine allergischen Reaktionen auslösen.

An einem Produkt, das mit einer Batterie statt mit Netzstrom betrieben wird, kann sich niemand einen „Stromschlag“ holen.

Schutzmaßnahmen Maßnahmen, die die Wahrscheinlichkeit oder den Schweregrad eines möglichen Schadens reduzieren Eine Aufhängung, die das Achtfache des benötigten Gewichts tragen kann, wird selten brechen.

Eine heterogene, zweikanalige Architektur wird beim Ausfall eines Bauteils seltener zu einem Schaden führen.

Informationen Handlungsleitende Hinweise zur korrekten Nutzung des Produkts an der Benutzerschnittstelle, in der Gebrauchsanweisung oder bei Schulungen Warnhinweis durch ein Pop-up, dass zwei der verschriebenen Medikamente sich gegenseitig verstärken

Tabelle 1: Die verschiedenen Typen von Maßnahmen

Normen und Gesetze fordern, dass Hersteller die o.g. Maßnahmen in der aufgezählten Reihenfolge umsetzen sollen, also zuerst die inhärente Sicherheit anstreben (s. Abb. 1).

Bild zeigt Entscheidungsdiagramm mit den möglichen Formen der Risikominimierung

Abb. 2: Die Normen und Gesetze legen die Reihenfolge der Umsetzung risikominimierender Maßnahmen fest.

Vorsicht!

Es ist falsch, dass Informationen nicht mehr als risikominimierende Maßnahmen genutzt werden dürfen. Lesen Sie mehr dazu in diesem Artikel.

c) Regulatorische Anforderungen an die Maßnahmen

Die Gesetzeswerke in allen Märkten und alle relevanten Normen fordern die Risikobeherrschung. Beispiele sind:

Die umgesetzten Maßnahmen sowie den Nachweis ihrer Wirksamkeit müssen Hersteller im Risikomanagementbericht dokumentieren.

2. Risikobeherrschung im Produktlebenszyklus

a) Festlegen der Maßnahmen

Die Pflicht zur Minimierung und Beherrschung der Risiken beschränkt sich nicht auf die Entwicklung der Produkte, sondern betrifft auch auf deren Produktion und Betrieb, sprich: alle Phasen im Produktlebenszyklus.

Phasen im Produktlebenszyklus Mögliche Maßnahmen
Festlegen der Zweckbestimmung und Identifizieren der Stakeholder-Anforderungen Einschränken der Zweckbestimmung (z. B. der vorgesehenen Indikationen oder Patienten- und Anwendergruppen)
Spezifikation der Systemanforderungen Vorgaben an die Verwendung von Materialien

Formative Evaluation zur Minimierung von Gebrauchstauglichkeitsrisiken

Festlegung eines Entwicklungsprozesses

Systems Engineering und Systemarchitektur Verwendung von Bauteilen mit Merkmalen hoher Sicherheit (Terminologie der IEC 60601-1)

Funktional sichere Architektur (z. B. mehrkanalige Architektur)

Verwendung etablierter Software-Bibliotheken

Segregation von Komponenten

System, das bei Fehlverhalten in sicheren Zustand geht

Produktion Vorgaben für den Einsatz von Hilfsstoffen

Einschränkung von Produktionsverfahren (z. B. enthalten Bauteile, die aus Vollmaterialien gefräst werden, seltener Luftblasen als Spritzgussteile)

ESD-Arbeitsplatz bei der Montage von Platinen

Instandhaltung, Wartung, Betrieb Einsatz nur von geschulten Service-Technikern des Herstellers

Regelmäßige Reinigung des Produkts

Rechtzeitiger Austausch von Verschleißteilen

Tabelle 2: Phasen im Produktlebenszyklus und möglichen Maßnahmen zur Risikobeherrschung

b) Überprüfen der Maßnahmen

Hersteller sind verpflichtet, die risikominimierenden Maßnahmen in mehrfacher Hinsicht zu prüfen (z. B. zu verifizieren und zu validieren):

  1. Verifizierung von Dokumenten
    Die bei der Entwicklung und Produktion entstehenden (Vorgabe-)Dokumente enthalten die Maßnahmen (in Abb. 3 blau dargestellt). Diese Dokumente müssen die Hersteller verifizieren (rotes V).
  2. Verifizierung der Existenz der Maßnahmen
    Hersteller müssen prüfen, ob die Maßnahmen tatsächlich geplant und implementiert wurden (rotes V).
  3. Validierung / Verifizierung der Wirksamkeit der Maßnahmen
    Schließlich müssen die Hersteller die Wirksamkeit der Maßnahmen prüfen (rot markierte Phasen).
Bild zeigt V-Modell und die Phasen, in denen die Risikobeherrschung möglich bzw. geprüft wird.

Abb. 3: Die Maßnahmen müssen geplant (in blau) und auf Existenz und Wirksamkeit geprüft werden (in rot).

Tipp

Safety Assurance Cases dienen dazu, die Wirksamkeit der Maßnahmen und damit die Sicherheit der Produkte zu beweisen.

4. Sonderfälle

a) Testen

Viele Hersteller führen in der „Risikotabelle“ Tests als risikominimierende Maßnahmen auf. Tests reduzieren allerdings weder die Wahrscheinlichkeit noch den Schweregrad von Schäden.

Sie helfen allerdings, Fehler (bei der Entwicklung und Produktion) zu erkennen und zu beseitigen. Diese Korrekturen und Korrekturmaßnahmen reduzieren die Risiken.

Vorsicht!

Tests führen weder zu inhärenter Sicherheit noch sind sie Schutzmaßnahmen oder Informationen zur Risikominimierung. Tests erlauben es hingegen, die Wahrscheinlichkeit besser abzuschätzen und zu begründen, weshalb diese so niedrig wie möglich angegeben ist. Denn Tests entsprechen Experimenten bzw. Stichproben.

Die Aufgabe von Tests besteht zudem darin, die Umsetzung und Wirksamkeit von risikominimierenden Maßnahmen zu überprüfen.

b) Informationen

Informationen sind als risikominimierende Maßnahmen erlaubt, wie dieser Fachartikel ausführt.

Die Ursache für eine gegenteilige Einschätzung liegt in einer missverständlichen Formulierung im „Z-Anhang“ der unter den EU-Richtlinien harmonisierten ISO 14971:2012.

5. Unterstützung

Haben Sie noch Fragen zu den risikominimierenden Maßnahmen? Antworten erhalten Sie in unserem kostenlosen Micro-Consulting.

Im Seminar „Risikomanagement und 14971“ lernen Sie die regulatorischen Anforderungen kennen und umsetzen.

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