Medizinproduktehersteller müssen die Stakeholder-Anforderungen systematisch erfassen, bewerten und nachweisen, dass diese erfüllt sind. Dabei gilt es, 5 Typen an Stakeholder-Anforderungen zu unterscheiden.
Inhalt
Diese Seite verschafft Ihnen einen schnellen Überblick
- über die Grundlagen (Was sind Stakeholder-Anforderungen?),
- wie Sie prüfen können, dass diese Anforderungen erfüllt sind,
- welche regulatorischen Anforderungen Sie beachten müssen,
- welche Fehler Sie dabei vermeiden sollten und
- wo Sie Unterstützung bei alldem erhalten.
1. Grundlagen
a) Definition
Definition: Stakeholder-Anforderung
„Eine Anforderung, die beschreibt, was aus Sicht einer Interessensgruppe (Gesetzgeber, Kaufentscheider, Betreiber, Benutzer) an einem System ermöglicht werden muss, um ein oder mehrere Erfordernisse zu befriedigen“
Quelle: adaptiert aus ISO/IEC 15288
b) Typen an Stakeholdern
Stakeholder sind diejenigen Personen, die Ansprüche oder Interessen an einem Unternehmen, Produkt oder Projekt haben. Dazu zählen:
- Nutzer / Anwender
- Personen, die mit den Ergebnissen weiterarbeiten
- Investoren
- Betreiber
- Gesetzgeber
- Kaufentscheider
b) Typen an Stakeholder-Anforderungen
Anforderungstyp |
Beschreibung |
Beispiel |
Nutzungsanforderungen |
Anforderungen an die effiziente Erbringung eines Ergebnisses mit einem interaktiven System (z. B. Software) |
Der Nutzer muss am System die Patienten erkennen können, die Hepatitis-positiv sind. |
Gesetzliche Anforderungen |
Anforderungen von Gesetzgebern und Behörden, z. B. in Form von Richtlinien, Gesetzen, Verordnungen, Normen usw. |
Nur befugte Personen dürfen die Laborwerte der Patienten sehen (Datenschutz). |
Fachliche Anforderungen |
Anforderungen an die Vollständigkeit und Korrektheit eines Arbeitsergebnisses |
Der Hepatitis-Wert muss im Arztbrief auf eine Nachkommastelle genau angegeben sein. |
Organisatorische Anforderungen |
Anforderung an das Verhalten von Personen oder Organisationseinheiten bei der Erbringung von Arbeitsergebnissen |
Die Ärzte müssen die Visite dokumentieren. |
Marktanforderungen |
Anforderungen, die für die Kaufentscheidung entscheidend bzw. relevant sind |
Die Software muss sowohl auf Windows als auch auf Linux laufen. |
Aus den Stakeholder-Anforderungen sollten Hersteller die Systemanforderungen ableiten.
Hinweis
Die Anforderungstypen müssen nicht disjunkt (überschneidungsfrei) sein. Beispielsweise könnte eine gesetzliche Anforderung darin bestehen, dass eine Medikamentenverschreibung ohne Prüfung von Medikamentenwechselwirkungen und Kontraindikationen verboten ist. Damit führt eine gesetzliche Anforderung direkt zu einer Nutzungsanforderung, z. B.:
„Der Nutzer muss am System Medikamentenwechselwirkungen (und deren potenzielle Auswirkungen auf den Patienten) erkennen können.“
Weiterführende Informationen
In folgenden Fachartikeln erhalten Sie weiterführende Informationen:
2. Prüfen von Stakeholder-Anforderungen
Die verschiedenen Typen an Stakeholder-Anforderungen bedürfen verschiedener Methoden zur Bewertung, ob die Anforderungen erfüllt sind.
Anforderungstyp |
Möglichkeit zur Überprüfung |
Nutzungsanforderungen |
Die Prüfung erfolgt u.a. durch eine Usability-Validierung (summative Evaluation). |
Marktanforderungen |
Das sind verkappte Systemanforderungen, die man durch eine Verifizierung prüft. |
Fachliche Anforderungen
(an das Arbeitsergebnis) |
Das ist die klassische Validierung. Neben der Usability-Validierung zählt hierzu die klinische Bewertung. |
Organisatorische Anforderungen |
Diese richten sich nicht an das Produkt, sondern an den Menschen und sind weder zu verifizieren noch zu validieren. |
Gesetzliche Anforderungen |
Gesetzliche Anforderungen können zu Nutzungsanforderungen führen (sind also entsprechend zu validieren) oder direkt zu Systemanforderungen, die verifiziert werden müssen. |
Weitere Anforderungen, z. B. Anforderungen von Investoren an Umsatz, Anzahl verkaufter Geräte, Entwicklungszeit |
Wie sich diese Zahlen überprüfen lassen, ist offensichtlich, aber aus regulatorischer Sicht uninteressant. |
3. Regulatorische Anforderungen
Alle Normen für Qualitätsmanagement (z. B. ISO 9001, ISO 13485 oder 21 CFR part 820) verlangen, dass der Hersteller die Stakeholder-Anforderungen erhebt.
Die ISO 13485:2016 unterscheidet Anforderungen, die die Kunden ausdrücken, von den Anforderungen, die die Kunden nicht ausdrücken, die aber notwendig sind, damit das Produkt seine Zweckbestimmung erfüllen kann.
Den Autoren der Norm scheint bewusst zu sein, dass man Kundenanforderungen nicht direkt erfragen kann.
Die genannten Regularien verlangen zudem, dass die Hersteller sicherstellen, dass die Stakeholder-Anforderungen (insbesondere die Zweckbestimmung) erfüllt werden.
4. Typische Fehler
a) Verwechslung von Stakeholder-Anforderungen und Systemanforderungen
Die IEC 62304 übernimmt aus der IEC 60601-1 die Abbildung mit dem V-Modell – inklusive Fehler: Sie schreibt, man würde gegen die PEMS-Anforderungen validieren. Aber PEMS-Anforderungen sind Systemanforderungen. (Das „S“ in PEMS steht für System.) Systemanforderungen werden verifiziert, nicht validiert.
Abb. 1: Die IEC 60601-1 verwechselt die verschiedenen Anforderungstypen.
Weiter behauptet die Norm, die PEMS-Anforderungen ergäben sich aus Anwenderbedürfnissen. Der Begriff „Anwenderbedürfnis“ ist nicht definiert. Er entspräche noch am ehesten den Erfordernissen. Aber Systemanforderungen ergeben sich nicht aus Erfordernissen, sondern auch Stakeholder-Anforderungen. Letzte müssen die Erfordernisse erfüllen.
b) Falsche Methoden zum Ableiten von Stakeholder-Anforderungen
Viele Stakeholder-Anforderungen wie die Nutzungsanforderungen lassen sich nicht durch direktes Befragen der Stakeholder (hier der Nutzer) ableiten. Wenn Sie Nutzer (User) nach deren Anforderungen (Requirements) fragen, erhalten Sie nicht die User Requirements, sondern die User Requests.
Mehr zum Unterschied zwischen User Requirements und User Requests lesen Sie hier.
5. Unterstützung
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